Bereuen ist das Gefühl, das sich nach mangelndem Mut, übermäßiger Angst und chronischem Vermeiden einstellt, aber auch nach unpassender Aggressivität und Impulsivität. Viele Chancen, aber auch widrige Ereignisse, im Leben können nicht nachgeholt werden. Die entscheidende Situation ist dann ein für allemal vergangen, wenn man sie nicht rechtzeitig oder falsch genutzt hat. Manchmal ergibt sich nur einmal oder wenige Male im Leben eine ganz besondere Anforderung an einen Menschen, auf die er die passende Reaktion zeigen sollte. Wenn dies nicht der Fall ist, kommt oft das Gefühl des Bereuens auf, falsch gehandelt zu haben, im Unterlassen wie im Übertreiben.
Eine Frau anzusprechen, die einem ganz einmalig gut gefällt, sich auf eine Stelle zu bewerben, die man unbedingt haben möchte, sich für einen Umzug zu entscheiden oder andere ganz entscheidende Weichenstellungen im Leben in Angriff zu nehmen – all dies kann durch übermäßiges Zaudern und Zögern zu lebenslangem Bedauern führen. Wie kann ich wissen, ob ich Erfolg gehabt hätte, wenn ich es nicht wenigstens versucht habe? Entschlusskraft, Mut und Tapferkeit sind Tugenden für das wahrhaft gute Leben. Dies ist eine alte stoische Weisheit. Sie ist heute genauso richtig wie vor 2.000 Jahren.
Bereuen kann aber auch bedeuten, begangene Handlungen nachträglich nichtig machen zu wollen, sie für falsch und fatal einzuschätzen, sich für sie zu schämen (vgl. Scham – Die Kernemotion der Sucht (Sucht und Emotionen #10)) oder schuldig zu fühlen. Überhaupt ist Bereuen oft eng mit einem Schuldgefühl verbunden. Darin unterscheidet es sich von dem schwächeren Gefühl des Bedauerns, das mehr mit einem Mitgefühl oder Mitleid – auch Selbstmitleid (Selbstmitleid – Nicht gut für Suchtkranke?! (Sucht und Emotionen #4)) - zu tun hat. Reue ist auch das nachhaltige Betrauern einer eigenen Schuld wegen einer Tat oder Unterlassung, die ihr Urheber im Nachhinein als verwerflich beurteilt und sich selber vorwirft.
Reue als Chance, aus Fehlern zu lernen
Etwas zu bereuen, ist nicht damit zu verwechseln, dass man sich wegen einer Handlung schämt. Scham kann Auslöser von Reue sein. Reue ist aber viel mehr mit Schuldgefühlen assoziiert, als es Scham ist. Es gibt etliche Unterschiede, die zwischen Bereuen und Bedauern den Unterschied ausmachen. Dazu später mehr. Ein Leben ohne Reue und Bedauern ist nicht möglich. Das Bereuen sollte jedoch einem Lernprozess unterliegen, so dass es seltener im Lebenslauf auftreten muss. Wenn dies möglich ist, hat sich das Leben unter anderem gelohnt.
Der vertiefte psychologische Umgang mit Reue unterscheidet sich darin zum früher dominierenden religiösen Umgang, dass der Mensch selbst seine Schwächen und Fehler selbst erkennen und korrigieren muss. Der im christlichen Sinne gläubige Mensch konnte noch auf Gottes Unterstützung bei der Beseitigung seiner Laster und Sünden hoffen, wenn er sie nur ehrlich bereute. Im außerreligiösen Verständnis kann Reue eine Grundlage für positive Veränderung sein. Sie bietet die Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen und Beziehungen oder Situationen zu verbessern.
Was Sterbende bereuen
In den letzten Jahren wurden Menschen, stimuliert durch das Buch „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ von Bronnie Ware im Jahre 2015, immer wieder befragt, was sie im Rückblick auf ihr Leben in der Rückschau bedauerten. Erstaunlich oft kommt die Antwort, das falsche Leben gelebt zu haben, weil man sich nur den Anforderungen anderer angepasst hat. Auch zu wenig Zeit mit der Familie, Partner und Kinder, verbracht zu haben, ist eine häufige späte Erkenntnis und Reue. Es ist bei der Reue ein großer Unterschied, ob ich etwas unterlassen habe, weil mir der Mut und die Entschlossenheit fehlte, oder ob ich eine Handlung gegen jemand anderen begangen habe, die diese Person hart getroffen hat.
Aus Fehlern lernen – einfacher gesagt als getan
Wenn sich ein Mann in eine Frau verliebt hat und sich nicht traut, sich ihr werbend zu nähern und ihr seine Liebe offen zu gestehen, wird er dies nachhaltig – vielleicht sogar sein Leben lang – bereuen, egal ob sie ihn möglicherweise auch liebt. Wenn er es nur bedauert, ist seine Emotion schwächer und er wird seltener davon gequält sein oder es eines Tages völlig vergessen.
Wenn sich eine Frau aus ihrer Beziehung löst, weil sie sich in einen anderen Mann verliebt hat, ist die Lage für den betroffenen Mann völlig andersartig. Im ersten Fall wird die Reue wegen der unterlassenen Handlung groß sein, weil er diese aus Angst oder Feigheit unterlassen hat, im zweiten Fall hatte er – wenn ich zuvor keine erkennbaren Fehler gemacht hat – keine Kontrolle über die Situation, kann also nicht eigenes Fehlverhalten bereuen, sondern bestenfalls die eingetretene Situation bedauern. Bereuen könnte er, dass er vielleicht vor vielen Jahren die falsche Partnerwahl getroffen und bestimmte Wesensarten der Partnerin möglicherweise übersehen oder anders eingeschätzt hatte. Man kann eben nur bereuen, worauf man selbst einen Einfluss hat. Sich diesen Unterschied zwischen eigener Verantwortung auf der einen und Betroffenheit ohne eigenes Zutun auf der anderen Seite klarzumachen, ist ein wichtiger Schritt zur Klärung der Situation für Betroffene.
Man kann nur aus den eigenen Fehlern lernen, das sollte man aber
Sie sollten nicht das Falsche bereuen, für das sie keine Verantwortung haben, sondern das, was in ihrem persönlichen Zuständigkeitsbereich lag. Es ist sehr wohl aber wichtig, das eine (Verantwortung, also bereuen können) vom anderen (keine Verantwortung, also bestenfalls bedauern können) zu unterscheiden. Reue bedeutet, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen, unabhängig davon, ob man von anderen darauf hingewiesen wird. Man kann nur aus den eigenen Fehlern lernen, das sollte man aber.
Es ist nicht immer leicht zu entscheiden, wie weit die eigene Verantwortung reicht. Gerade deshalb ist es wichtig, sich klar zu machen, was man selbst zu verantworten hat und was nicht. Viele Männer verwirren sich damit, dass sie für Dinge Verantwortung übernehmen, die sie nicht zu verantworten haben oder gar nicht verantworten können. Sich den Unterschied zwischen Beeinflussbarkeit und Nicht-Beeinflussbarkeit klar zu machen und die Erkenntnis über die Reichweite der eigenen Möglichkeit zu entwickeln, ist ein wichtiger Schritt zur Selbsterkenntnis – und oft auch zur Selbstberuhigung.
Was braucht man zum Bereuen?
Die Fähigkeit zum Bereuen ist für Menschen wichtig. Nur dann können sie einerseits trauern und bereuen und sich andererseits verändern und weiterentwickeln. Bereuen setzt komplexe kognitive, emotionale und moralische Fähigkeiten voraus, wie etwa Bewertung und Unterscheidung eigenen und fremden Verhaltens, Gedächtnis und Gewissen. Für Menschen mit psychopathischer oder starker narzisstischer Persönlichkeitsstruktur ist Bereuen unmöglich, weil ihnen die entsprechenden selbstreflexiven Fähigkeiten meistens fehlen.
Es geht beim Bereuen um das rechte, mittlere Maß zwischen Selbstzerfleischung und Gleichgültigkeit (Gleichgültigkeit – das seltsame Gefühl der Gefühllosigkeit (Sucht und Emotionen #3)). Sensible, furchtlose Selbstreflektion sollte zu einem Bereuen führen, das nicht in dauerhaftem Grübeln und Zwangsgedanken besteht, sondern zu Bewältigung und neuen Einsichten führt. Somit kann in der Zukunft geeigneteres Verhalten erreicht werden.
Welche Formen des Bereuens sind männerspezifisch?
Manche Formen des Bereuens treten bei Männern im Speziellen oder zumindest besonders häufig auf. Dazu gehören vor allem:
Karriereentscheidungen
Männer bedauern oft verpasste berufliche Chancen, falsche Karrierewege oder zu viel Fokus auf Arbeit statt auf Familie und Freizeit gelegt zu haben. Überlegen Sie sich Ihre beruflichen Entscheidungen gründlich, sprechen Sie mit einem guten Freund oder Vertrauten darüber und sorgen Sie bei allem beruflichen Engagement für eine langfristig gesunde Balance.
Gefühl der Emotionsüberflutung
Männer gehen nach außen hin mit ihren Emotionen meist anders um als Frauen. Und das ist auch okay so. Sie sollten sich aber so wichtig nehmen, ihre Emotionen zu äußern oder zu zeigen, wenn es für sie wichtig, entscheidend oder einfach passend ist. Dies ist ein Weg der grundsätzlichen Selbstfürsorge. Wenn Sie nämlich Ihre Emotionen zu lange unterdrücken, droht die Gefahr der Emotionsüberflutung. Das sollten Sie auf jeden Fall vermeiden.
Verpasste Chancen in Beziehungen
Männer erleben es oft, keine mutigen Schritte in romantischen Beziehungen unternommen zu haben, was sie anschließend bereuen. Durch Schweigen und Hemmungen glauben sie dann, eine wichtige Chance verpasst zu haben. Versuche es lieber mit aller Energie und allem Mut, eine Chance, von der Du absolut überzeugt bist, zu ergreifen, anstatt sie vorbeiziehen zu lassen! Durch fehlende Kommunikation sollte sich im Leben kein dauerhaftes Bereuen ergeben. Schule Deine Fähigkeit, Dich passend und mutig zu verhalten!
Gesundheitliche Vernachlässigung
Viele Männer bereuen es nachträglich, gesundheitliche Warnzeichen zu lange ignoriert zu haben, vor allem wenn sie dadurch eine schwerwiegende Erkrankung zu spät erkannt haben. Auch ein unrealistischer Umgang mit ihrer körperlichen und psychischen Gesundheit in Form von Allmachts- und Unverletzlichkeitsgefühlen führt oft zu starkem Bereuen, wenn erst einmal Probleme und Krankheiten aufgetreten sind.
Verlust an Lebenszeit
Am Ende des Lebens nimmt das Bedauern über verpasste Gelegenheiten zum intensiven, bewussten Leben oft zu. Männer haben dann das Gefühl, zu viel Zeit mit Dingen verbracht zu haben, die nicht wirklich erfüllend waren. Dazu gehören ein Übermaß an Arbeit, oberflächliche Beziehungen, Sex im Akkord und eine einseitige Orientierung an Macht und Materiellem. Auch ungesunde Lebensweisen (zu viel Alkohol, Rauchen, ungesundes Essen und Bewegungsmangel) führen zu einem Verlust an Lebenszeit, der am Ende bedauert wird. Leben Sie jetzt bewusst und achtsam. Genießen Sie die Ihnen gegebene Lebenszeit, als ob es jeden Tag ein neues Geschenk wäre.
Erziehung und Familie
Immer wieder berichten Männer, dass sie es bereuen, nicht mehr Zeit mit ihren Kindern verbracht oder wichtige Momente im Familienleben verpasst zu haben. Sie haben sich dann zwar oft mit Arbeit oder Hausbau für die Familie aufgeopfert. Ihr Einsatz hat sich dann eben oft auf Bereiche außerhalb der Familie bezogen, etwa um das Familienleben materiell abzusichern.
Worauf bezieht sich Bereuen bei Männern?
Die zentralen Bereiche häufigen Bereuens bei Menschen lassen sich auf sieben Ebenen zusammenfassen:
Ich wünschte, ich hätte das Leben geführt, das mir wirklich entspricht, anstatt es immer nur anderen recht zu machen.
Ich wünschte, ich hätte mich selbst im tiefsten Inneren akzeptiert, wie ich bin, anstatt immer nur die Anerkennung anderer zu suchen.
Ich wünschte, ich hätte nicht nur nach Perfektion und Leistung gestrebt.
Ich wünschte, ich hätte mehr Mut gehabt, zu meinen Wahrheiten zu stehen und sie an richtiger Stelle mitzuteilen.
Ich wünschte, ich hätte etwas für mich Sinnvolles im Leben gemacht, beruflich wie privat. Damit hätte ich etwas aus meinem Leben gemacht.
Ich wünschte, ich hätte meine ideale Partnerin gefunden und zur Lebenspartnerin gemacht.
Ich wünschte, ich hätte achtsamer gelebt und nicht so viel Lebenszeit sinnlos verplempert.
Für Männer sind alle Bereiche von großer Bedeutung. Besonders häufig berichten sie über die Punkte (2), (4), (6) und (7).
Reue steht oft am Neuanfang im Leben
Die sieben Ebenen können sofort im Hier und Jetzt der Anfang eines bewussteren, achtsamen Lebens sein. Dafür sind gründliche, furchtlose Selbstreflektion und das Gefühl echter Reue ein guter Einstieg. Reue und in der Folge gründliche Selbstreflektion stehen oft am Anfang von tiefgreifenden Veränderungen im Leben. Wenn ein Mann nicht bereuen kann, was er leichtfertig unterlassen oder sträflich getan hat, hat dies meist mit der Unfähigkeit zur Selbstreflektion zu tun. Gründe dafür können Narzissmus (Selbstverliebtheit, Fragilität), Dummheit (unbegründete Überheblichkeit, Realitätsverlust) oder Mangel an Gewissen sein.
Die Hindernisse zum Bedauern erweisen sich auf die lange Sicht als schwerwiegender als das Bereuen in einer konkreten Situation. Durch die Unfähigkeit oder Unwilligkeit zum Bereuen häuft ein Mann sich langfristig viel Schuld und Scham an, der er immer weniger entkommen kann. Dennoch kann zu jedem Zeitpunkt im Leben der Versuch des Bereuens unternommen werden. Früher war dies ein Bereich der religiösen Seelsorge, in der heutigen säkularen Welt ist es die Psychotherapie, die diesen Bereich abdeckt. Reue ist in diesem Sinne das Gefühl, das sich nach schwerwiegenden Fehlhandlungen einstellt und nicht ein Zeichen von minderwertiger Sündhaftigkeit.
7 Tipps zum Umgang mit schwerwiegenden Fehlern im Leben
Natürlich sind begangene oder unterlassene bereuenswerte Fehler im Leben nicht mehr rückgängig zu machen. Aber daraus für das weitere Leben zu lernen, ist das Beste, was Du machen kannst.
Tipp 1
Warte mit der Korrektur von Fehlern, die Du begangen hast, nicht lange! Schiebe es nicht auf die lange Bank! Wenn Du eine unterlassene wichtige Handlung bereust, mache es beim nächsten Mal – wenn sich diese Chance bietet – bewusst anders und überschreibe damit den alten Fehler! Den Mut dazu findest Du in dem Gefühl der Reue, das Du nicht verdrängen solltest.
Tipp 2
Wenn Du durch Fehlhandlungen anderen Menschen geschadet hast, bitte sie aufrichtig um Vergebung und frage sie, wie Du Deine Schuld an ihnen wieder gut machen kannst! Um Vergebung und Entschuldigung zu bitten, ist ein Zeichen wahrer Stärke. Wenn sie nicht mehr mit Dir reden, mache Deine Schuld an ihnen mit symbolischen Hilfeleistungen für andere wieder gut.
Tipp 3
Versuche Deine Fehler in Unterlassungen und Handlungen in Zukunft nicht mehr zu begehen und es besser zu machen durch bewusstes Handeln und Verantwortungsübernahme! Nur wenn Du aus deinen Fehlern lernst, macht es einen Sinn. Das Gefühl der Reue hilft Dir dabei und gibt Dir die Energie, es besser zu machen. Du bist verantwortlich für Deine Fehler, aber auch für die Gewinne, die eine bessere Lebensführung auf Dauer mit sich bringt.
Tipp 4
Halte Dich nicht mit dem Bedauern für Dinge auf, auf die Du keinen Einfluss hattest! Was sich wie Bereuen anfühlt, ist Bedauern. Du kannst Ungerechtigkeiten und widriges Verhalten, das Du erlebt hast, bedauern. Aber dann gibt es für Dich nichts zu bereuen. Am Ende solltest Du nicht bereuen, dass Du die Dinge zu lange bedauert hast.
Tipp 5
Wenn Du erlebst, dass sich Irrungen und Wirrungen im Leben immer wieder ereignen und anhäufen, ist dies ein Zeichen, dass Du Deinen Weg ändern solltest. Lass Dich dabei beraten und unterstützen! Denn oft sieht der Betroffene den richtigen, möglichen Weg nicht, weil er sich selbst im Wege steht oder einen Schatten auf die möglichen Lösungen wirft. Mache das Gefühl der Reue zu Deinem Lösungsweg und nicht zum Weg in Resignation und Verzweiflung!
Tipp 6
Wenn Du den Weg zum Umgang mit Reue und hin zu Veränderungen alleine nicht findest – und das ist ganz normal – hole Dir Hilfe und Unterstützung! Andere Männer, die genügend Weisheit und Erfahrung haben, können Dir helfen. Aber auch geschulte Psychotherapeuten und Seelsorger sind mögliche Wegbegleiter.
Tipp 7
Wenn Du Dir vorstellst, was Du am Ende Deines Lebens bereuen wirst, und Dir dann nichts Großes mehr einfällt, weil Du den Lösungsweg der Reue bereits gegangen bist, dann hast Du so viel im Leben richtig gemacht, dass Du Sinn und Erfüllung gefunden hast.