Vaterschaft heute
Vaterschaft ist ein selten präsentes Thema in der öffentlichen Diskussion. Mütter – alleinerziehende, gebärende, gestresste – sind in aller Munde. Klar, sie tragen das Ungeborene neun Monate in sich, sie erledigen einen Großteil der Erziehungsarbeit (siehe Kapitel Herkunftsfamilie), sie haben meist die intensivere Bindung zum Kind, kurz: sie sind scheinbar die einzig relevanten Bezugspersonen. Aber warum hat die Natur zwei Eltern geschaffen und vorgesehen, warum verschwindet oder stirbt der Mann nicht nach Zeugung oder Geburt wie bei manchen anderen Lebewesen? Dafür gibt es einen zentralen Grund: Der Vater ist wichtig!
Von der Freude und dem Glück der Väter
In einer Befragung von Vätern des Deutschen Jugendinstituts (Li et al.: Väter 2015, München: DJI. S. 53) zeigte sich, dass sich die befragten Väter in hohem Maße mit ihrer Vaterrolle identifizierten: Weit über 90 % der Väter stimmen der Aussage voll und ganz zu, es „bereitet ihnen Freude, Vater zu sein“. Unterschiede zwischen „aktiven“, „durchschnittlichen“ und „wenig aktiven Vätern“ sind hierbei kaum vorhanden.
Und für viele Väter ist die Geburt ihres Kindes einer der wichtigste Momente in ihrem Leben. Weil wir Männer dies wichtig nehmen, gehört das Thema „Vaterschaft“ auch zu „Men`s Mental Health“ (MMH) und bekommt hier ein eigenes Kapitel. Von gelingender Vaterschaft, aber auch den vielfältigen Hindernissen auf diesem Weg geht es im Folgenden. Auch um die vielen Fallstricke und Behinderungen, die eine nur vorgeblich gerechte Scheidungs- und Familienpolitik für Väter bedeutet.
Trennung und Scheidung – eine Gefahrensituation für Väter
Beginnen wir direkt mit einem der traurigsten Kapitel, was gegenwärtig Männern in der Vaterrolle passieren kann. Über 4 Millionen Kinder sind in Deutschland von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Und hier spielen die Väter oft eine negative Rolle – selbstverantwortet, aber auch fremdverantwortet.
Ein besonderes Entwicklungsrisiko für Kinder besteht im dauerhaft abwesenden Vater. Sicherlich können Stiefväter, Pflegeväter und Adoptivväter einen Teil dieses Defizits kompensieren. Aber heutzutage gilt der abwesende Vater als eines der größten Entwicklungsrisiken für Kinder, besonders für Jungen (siehe Kapitel Jungen). In der jüngeren entwicklungspsychologischen Forschung ist die Rede von der Boy`s Crisis, ausgelöst durch ein vater- und männerloses Aufwachsen von Jungen in den modernen Gesellschaften. In manchen Großstädten sind schon mehr als 40% der Jungen davon betroffen, insbesondere dort, wo ohnehin sozial prekäre Verhältnisse vorherrschen.
Die Tragik des abwesenden, aber bindungswilligen Vaters
Ich will vor allem auf den Umstand hinweisen, dass abwesende Väter nicht zwingend desinteressierte, bindungsunwillige oder –unfähige Väter sind, sondern Opfer intriganten Verhaltens ihrer Ex-Partnerinnen werden, was ganz und gar nicht im Kindesinteresse sein kann. Dies geschieht aus Rachemotiven, Narzissmus, Egoismus, Dummheit und purer Bequemlichkeit der sich aufgrund unseres Scheidungsrechts in einer sehr starken Position befindlichen Mütter.
Aus Tausenden Fallgeschichten, Petitionen, Briefen und Anträgen an Familiengerichte und Jugendämter wird deutlich, dass die oft geschmähten abwesenden Väter nicht immer freiwillig, d.h. aus eigenen Stücken, abwesend sind. Klar gibt es Väter, die sich ihrer Rolle und Verantwortung entziehen. Aber Hunderttausende wollen mehr und regelmäßigen Kontakt zu ihren Kindern und bekommen ihn nicht!
Bisweilen werden sie nämlich von den Müttern, ihren Ex-Partnerinnen, offen oder subtil (siehe im Folgenden Parental Alienation Syndrome PAS) aus der Beziehung mit ihrem Kind hinausgedrängt und dauerhaft ferngehalten. Oft geschieht dies mit fadenscheinigen Argumenten und Handlungen unter dem Auge des nicht Gesetzes.
Grundrechte der Väter werden verletzt – Das pädagogische System funktioniert nach weiblichen Regeln
Obwohl dies das Grundrecht auf Gleichheit verletzt, werden die Rechte von erziehungs- und bindungswilligen und –fähigen Vätern in unserem Land immer noch massenhaft ignoriert und verletzt. Oft spielen Familiengerichte, Jugendämter und pädagogische Fachkräfte (die zu über 80% weiblich sind) hier eine ungünstige Rolle. Entweder aus Unkenntnis für die Lage und Bedürfnisse der Väter und der komplementären Notwendigen aus Kindersicht oder aus einseitiger unreflektierter oder bewusster Parteinahme für das „Mütterliche“ und für feministische Interessen missachten sie die Rechte der getrennt lebenden, oft sehr verzweifelten Väter.
Diese sollten aber ein faktisches Recht auf Gleichstellung und Gleichbehandlung mit den Kindesmüttern haben, wenn sie sich fair und gerecht für die Interessen ihrer Kinder und ihre Interessen als Väter einsetzen. Auf diese schon lange strukturell gewordenen Benachteiligungen geschiedener Väter haben inzwischen viele Betroffene und Experten hingewiesen. Der Gesetzgeber hat mit einigen Mini-Reformen geantwortet, ohne dass sich die Lage an sich grundsätzlich geändert hat.
Der deutschlandweit aktive Verein Väteraufbruch für Kinder e.V. ist aus dieser deutlichen Benachteiligung der Väter heraus entstanden und muss sich leider nach wie vor in sehr vielen Fällen für die Rechte benachteiligter Kindsväter einsetzen.
Das pädagogische System funktioniert nach weiblichen Regeln, welches implizit die Mutterschaft immer noch über die Vaterschaft stellt – entweder aus Mangel an Wissen und Reflexion oder ganz bewusst und gezielt.
Zentral ist das Kindeswohl – Dieses darf nicht zum Schlachtfeld der Geschlechter werden
Dass dies auch die Kinder vielfach schädigt, ist die besondere Tragik des oft als „im Interesse des Kindes“ deklarierten Vorgehens. Dies muss sich ändern: Das vielbeschworene Kindeswohl ist nicht identisch mit dem Wohl der Mütter. Trennungs- und Scheidungsszenarien dürfen nicht zum Schlachtfeld der Geschlechter werden.
Kindesvorenthaltung und Kindesentführung, durch welches Elternteil auch immer, müssen unterbunden werden, solange beide Elternteile erziehungsfähig und - bereit sind.
Mediation sollte im Interesse aller zum Regelangebot werden. Wichtig ist vor allem, dass der getrennt lebende Vater nicht zum reinen Zahlvater, Besuchsonkel oder gar zur „persona non grata“, der unerwünschten Nebenperson, kurz zum Störfaktor, wird. Längst gibt es kinderfreundliche Modelle, welche die Risiken einer Scheidung und der Zeit danach abmildern (Stichwort: Residenzmodell, Nestmodell). Beide Elternteile haben eine Loyalitätspflicht gegenüber ihren Kindern und ihr Verhalten sollte danach beurteilt werden. Alle Verantwortlichen müssen lernen, die Gleichheit und Gleichwertigkeit von Müttern und Vätern im Kindesinteresse zu respektieren.
Wechselmodell oft besser als Residenzmodell, aber seltener praktiziert
Das Wechselmodell, bei dem das Kind abwechselnd für einige Zeit bei der Mutter und dann beim Vater lebt, kann nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofes von Anfang 2017 nun auch gerichtlich angeordnet werden. Dennoch wird in Deutschland überwiegend das Residenzmodell umgesetzt. Dabei lebt das Kind bei einem Elternteil mit dauerhaftem Wohnsitz und der zweite Elternteil erhält nur ein Umgangsrecht mit seinem Kind. Dies bringt bisweilen schnell eine Entfremdung zwischen dem Kind und dem nur mit Umgangsrecht ausgestatteten Elternteil mit sich. Beim Wechselmodell hingegen, pendelt das Kind in regelmäßigen Abständen zwischen dem Haushalt der Mutter und des Vaters.
Ansprüche an die Vaterrolle
Die Konflikte, die sich für Männer aus den widersprüchlichen Interessen und Realitäten des modernen Alltags ergeben, betreffen die Vaterrolle aus zwei Gründen besonders. Erstens gibt es - von den Unbelehrbaren abgesehen - heute kaum noch Väter, welche die Verantwortung für ihre Kinder nicht viel umfassender verstehen und auch wahrnehmen als die Vätergenerationen vor ihnen. Sie beteiligen sich immer öfter an der Geburtsvorbereitung, unterstützen ihre Frauen während der Geburt, wickeln und füttern die Säuglinge und fahren sie im Kinderwagen spazieren; sie spielen mit den Kleinkindern, toben mit den größeren und fördern und sorgen sich um Töchter und Söhne. Sie wollen auch seelischen Trost bieten und Vorbild für die psychisch gesunde Entwicklung sein. All dies tun sie nicht nur aus Pflichtbewusstsein, sondern auch aus einem emotionalen Bedürfnis und einer inneren Bindung an das Kind heraus.
Eklatanter Wandel der Vaterrolle
Die Qualität des Vater-Kind-Verhältnisses hat sich nachweislich in den letzten dreißig Jahren, also in einem historisch gesehen sehr kurzen Zeitraum, grundlegend gewandelt und völlig neue Vaterbilder hervorgebracht. Das heutige Vater-Ideal betrifft nicht nur die materielle Versorgung der Kinder und ihre symbolische Einführung in die Welt der Erwachsenen sowie in die Regeln und Gesetze der Gesellschaft; es schließt auch Empathie, Mitgefühl und Dialogbereitschaft als Fundamente einer gelingenden Beziehung ein. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Vater- Sohn- Beziehung zu.
Väter im Berufs-Familien-Dilemma
Aber - und das macht den zentralen Konflikt aus - je mehr der Anspruch der Männer an ihr Vater-Ideal gewachsen ist, desto mehr spüren sie, wie unvollkommen sie es heutzutage vor dem Hintergrund der herrschenden gesellschaftlichen Realität oft nur einlösen können. Es ist in erster Linie der Beruf, der ihnen nicht genug Zeit für die Kinder lässt.
Väter fühlen sich dann unverstanden, weil sie einerseits der Ernährer und Beschützer der Familie und andererseits der engagierte und präsente Vater für Kinder sein wollen. Es herrscht erstaunlich wenig Empathie für diesen Alltagskonflikt moderner Väter. Im Falle der Mütter und berufstätigen Frauen ist die öffentliche Anteilnahme stark und empathisch.
„Mein Arbeitsplatz verschlingt mich: Wenn meine Frau zu mir sagt, ich solle nicht so viel arbeiten, ist dies schier unmöglich für mich. Und wenn ich mich nicht verschlingen lasse, verschlingen sie meinen Arbeitsplatz. So einfach ist das. Aber keiner in meiner Familie will das verstehen. Und es ist ganz bestimmt auch keine Ausrede von mir.”
Thomas H. (46) bei einer Psychotherapiesitzung
Nur die dauerhafte Beziehung zum Kind ist eine gute Vater-Kind-Beziehung
Oft haben die Väter den Eindruck, dass ihr Engagement für ihre Kinder auch von ihren Frauen nicht ausreichend gewürdigt wird. Diese haben gelernt, dass sie mit Klagsamkeit viel erreichen, Männer ziehen sich dann ins Schweigen und in die Arbeit zurück – ein Teufelskreis! So verstärken sie ihren Stress und werden noch des mangelnden Engagements für die Familie beschuldigt.
Ein anderer Grund für die Verunsicherung vieler moderner Männer liegt in dem Gefühl, dass ihr Einfluss auf die Kinder in der gleichen Weise schwindet, wie unsere Welt immer komplexer wird, die Macht der Medien das Bewusstsein der Kinder immer früher gewalttätig in Besitz nimmt und sie abhängig macht. Es gibt immer mehr Instagram- und Youtube-Influencer und Ideale, denen die Kinder folgen. Für Eltern insgesamt eine schwierige Situation, getrennt lebende Väter werden dadurch noch weiter marginalisiert.
Der unsichtbare Vater als Problemfigur
Neben den letzten Endes oft unerfüllbaren eigenen Ansprüchen an das Vater-Ideal liegt der zweite Grund für Konflikte mit der Vaterrolle in den Erwartungen der Außenwelt. Seitdem der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich 1963 das sehr bekannt gewordene Buch „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft” schrieb, geistert durch die Humanwissenschaften und die Öffentlichkeit das Bild des „unsichtbaren” Vaters. Dieser hat durch Kriege, Arbeitswut und Machtmissbrauch und die in der Folge oft eingetretenen Phasen langer Abwesenheiten für die Kinder seine Vorbildfunktion verloren. Er konnte ihnen immer weniger Halt für ihre Charakterreifung und soziale Stabilität geben. Der Vater im 21. Jahrhundert kann sich von der Problemfigur zum Vorbild entwickeln, wenn endlich die relevanten Instanzen – Gesetzgeber, Familiengerichte, Jugendämter und Arbeitgeber – mitziehen.
Alles nur Munition im Geschlechterkampf?
Auch wenn das negative Vaterbild, wie eine Prüfung der Realität – z.B. in der schon erwähnten Väterstudie des DJI – unschwer zeigt, heutzutage überzogen und verzerrt ist, wird es unter dem Einfluss des Feminismus weiter benutzt oder gar ausgebaut, um Vätern Versagen oder Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen. Sie kümmerten sich nicht um ihre Kinder, seien meistens abwesend, nähmen ihre Verantwortung nicht wahr und seien daher, wenn man radikalen Formulierungen glauben soll, sogar gänzlich verzichtbar.
Dies ist natürlich in erster Linie Munition in dem von mancher Seite befeuerten Geschlechterkampf. Väter tun nie genug. Diese Botschaft haben viele Väter inzwischen leider verinnerlicht und plagen sich mit ständigen Schuldgefühlen. Dabei kann es nur darum gehen, für Mütter und Väter ein jeweils an ihre Lebenssituation und ihre Entscheidungen angepasstes Familienmodell zu ermöglichen. Ohne ihnen Vorschriften zu machen und ohne sie für ideologische Interessen zu funktionalisieren.
Die Folgen des verbreiteten negativen Vaterbildes
Die Folgen des sehr verbreiteten Vorurteils, dass Männer unfähig zur Vaterschaft seien, führen aber auch dazu, dass selbst Väter, die besten Willens sind, sich in der Familie ausgegrenzt fühlen und dann in zahllosen Fällen von Scheidungen und Trennungen auch real ausgegrenzt werden. Dabei gilt es anzuerkennen, dass Vaterschaft nicht in einer Kopie der Mütter besteht, sondern dass Väter – auch mit weniger Zeit für Interaktion und Bindung ausgestattet – wertvolle Elternarbeit leisten. Man sollte ihnen grundsätzlich mit Wertschätzung und Verständnis für ihre oft sehr komplexe Lage begegnen. Eine Haltung, die derzeit nur Müttern entgegengebracht wird.
Es sollte alles getan werden, um eine - latent scheinbar angestrebte - vaterlose Gesellschaft zu verhindern. Dazu gehören mehr Partnerschaftskurse, Kommunikationstrainings für Paare, Prävention von Liebesverlust, Kriseninterventionen bei Trennungen und das schon erwähnte Wechselmodell bei geschiedenen Eltern. Bislang kommen die meisten Paare viel zu spät zur Beratung bzw. Therapie, so dass viele Trennungen geschehen, die präventiv auch im Sinne der Kinder vermeidbar gewesen wären.
Scheidung sollte nicht zum Gewöhnungs- und Regelfall in der Gesellschaft werden, vor allem wenn Kinder im Spiel sind. Der Vaterverlust gehört nämlich zu den schlimmsten Katastrophen, die Kinder erleben können.
Vätertypologie
Ähnlich wie bei den Archetypen des Mannes lassen sich auch in Bezug auf Vaterschaft verschiedene Rollen unterscheiden. Ganz grob ist zwischen dem anwesenden und abwesenden Vater zu unterscheiden. Zu der Frage einer Vätertypologie liegt überraschend wenig Forschung vor.
Zunächst fallen einem vielleicht Eigenschaften ein wie gütig, gerecht, beschützend, stark, ausgeglichen, zugewandt. Dies wäre der positive, nährende, zugewandte Vater. Aber auch Eigenschaften wie aufbrausend, jähzornig, ungeduldig, ungerecht, schwach kommen in den Sinn. Das ist das Bild des negativen, versagenden, nicht förderlichen Vaters.
Natürlich hat jeder Mann diese Anteile in sich. Oft sind die selbst erlebten Vätervorbilder (siehe Herkunftsfamilie) überwiegend nicht positiv gewesen. Deshalb kann und sollte jeder Mann an seinen Vaterqualitäten arbeiten. Für sich alleine, mit anderen Männern und Vätern oder in einer Psychotherapie.
„Dad deprived boys“ - Jungen ohne Väter
Der in der Kindheit aus welchen Gründen auch immer abwesende Vater stellt für einen heranwachsenden Jungen ein beträchtliches Entwicklungsrisiko dar (Farrell, Warren & Gray, John, 2019: The Boy Crisis): 93 % der Strafgefangenen in den USA sind männlich und von diesen haben 90% in ihrer Kindheit überwiegend keinen Vater erlebt. 85% der Täter von „mass shootings“ in den USA sind „dad-deprived males“, junge Männer, die ohne Väter aufgewachsen sind. Es wird offensichtlich, dass diese Männer, die ohne Vater aufwachsen mussten, oft voller Wut, Hassgefühle und übermäßiger Aggressionen sind. Sie haben eine Karriere von Ablehnung und Zurückweisung hinter sich und sind voller negativer Emotionen gegen andere und sich selbst. Das ist aber kein Muss, sondern Ergebnis verfehlter Gesellschaftspolitik!
Die Situation der Scheidungskinder in Deutschland
Heutzutage haben ca. 50 % der Trennungs- und Scheidungskinder, d.h. ca. 2 Mio. Kinder und Jugendliche in Deutschland, nach Schätzungen des BMFSFJ (Bundesfamilienministerium) keinen oder keinen regelmäßigen Kontakt mit dem Vater, obwohl sich viele dieser Väter intensiv um Kontakte mit ihren Kindern bemühen und im Normalfall fürsorgliche und rechtstreue Männer sind.
Warum Väter für Kinder wichtig sind
Es sind besonders diese selbst oder fremd verschuldeten Ausgrenzungen, die einen genaueren Blick auf die Bedeutung des Vaters notwendig machen. Erst durch die Väter- und die Säuglings- und Kleinkindforschung der letzten Jahrzehnte ist klar geworden, wie existenziell notwendig der Vater für eine gesunde seelische und soziale Entwicklung der Kinder ist. In der Entwicklungspsychologie unterscheidet man heute drei für die Vater-Kind-Beziehung entscheidende Zeiträume, die „Dreieckbildungsphase”, in der Fachsprache auch als “Triangulierungsphase” bezeichnet, die “erste ödipale Phase” und die “zweite ödipale Phase”.
Dreiecksbildungsphase (1. bis 3. Lebensjahr)
(1) Triangulierungsphase – die Familie entsteht und gewinnt Stabilität
In der Dreiecksbildungsphase (1. bis 3. Lebensjahr) lernt das Baby den Vater nach der Mutter als weitere, wichtige Bezugs- und Bindungsperson kennen, die Wärme, Sicherheit, Geborgenheit und Trost gibt. Das Bild der Triangel macht deutlich, dass es für das Kind längerfristig um ein Gleichgewicht zwischen Mutter und Vater geht. Der Mann soll die Partnerin in dieser Phase als Mutter bestätigen und schützen. Für das Kind soll er ein sicherer Hort bei der langsam zunehmenden Lust an der Exploration der Welt sein. Der Vater hilft entscheidend bei der Autonomie- und Selbstwertentwicklung des Kindes.
Frühe Kindheit (4. bis 6. Lebensjahr)
(1) Der Vater als Kamerad und Helfer bei der Eroberung der Welt
Durch die zunehmende Ablösung von der Mutter und die Exploration der Welt erfährt sich das Kind als eigenständiges Wesen, das mit den Anforderungen einer zunächst unbekannten Umwelt konfrontiert wird. Da es noch nicht über genügend Erfahrungen und Techniken verfügt, um die damit verbundenen Gefahren zu kennen und Risiken abzuschätzen, ist es weiterhin auf Schutz angewiesen. Dies kann vielfältige Emotionen erzeugen. Auch die Einheit der Welt, egal ob das Kind schläft oder träumt, erzeugt oft Ängste, die nach Trost und Orientierung verlangen. Eine wunderbare Aufgabe für Väter bei Tag und Nacht. Die Entwicklungsaufgabe in dieser Zeit, die Umwelt aktiv zu erforschen, sich in ihr zu orientieren und zu behaupten, setzt ein ausreichendes Gefühl der Sicherheit und des Selbstvertrauens über die eigenen Fähigkeiten voraus. Dies kann das Kleinkind durch die Stärke und Selbstsicherheit des Vaters, die es beobachtet und spürt, gut erlernen und einüben.
(2) Väter sind anders als Mütter – und das ist gut so
Die Rolle des Vaters bei der Bewältigung dieser Entwicklungsschritte kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Anders als die Mutter, die dem Kind hauptsächlich durch ihre Emotionalität und sprachliche Kommunikation den notwendigen Rückhalt gibt, vermittelt der Vater ihm die Welt durch aktive Demonstration, gemeinsame Erkundungen, Ermutigung und Förderung. Aber auch Trost und Mitgefühl sind wichtig. Diese durch viele Studien herausgefundenen Unterschiede elterlicher Beziehungsangebote, Schwerpunktkompetenzen und Erziehungsstile erweisen sich psychologisch in idealer Weise als komplementär. Mütter und Väter ergänzen emotionale, soziale, kognitive und instrumentelle Anreize zu einer notwendigen elterlichen Gesamteinheit. Dabei wird der Vater in seiner handlungsorientierten, körperbetonten und normativen Vorbildfunktion als positives Objekt verinnerlicht. Die psychologischen Lernprinzipien des Modelllernens, des Signallernens (Klassisches Konditionieren) und Lernens am Erfolg (Operantes Konditionieren) erfordern die gesamte Palette möglicher elterlicher Angebote. Großelterliche und geschwisterliche Angebote runden die Möglichkeiten ab.
Pubertät (12. bis 16. Lebensjahr)
(1) Zum Vollständigwerden des Jugendlichen gehören Vater und Mutter
Die Pubertät als Übergang zwischen Kindheit und Erwachsensein ist eine Zeit der Unruhe, der Veränderung und der Entwicklung einer persönlichen Identität. In dieser Situation benötigen Kinder die Väter oft mehr als die Mütter als festes und selbstsicheres Bindeglied zur realen Welt. Auch hier lässt sich wieder auf das Gesetz der komplementären, sich ergänzenden Mutter- und Vaterrollen verweisen. Wie beim daoistischen Prinzip des Yin und Yang oder bei den Archetypen Animus und Anima (siehe Kapitel „Männliche Archetypen“) entsteht nur ein Ganzes, wenn beide Teile das ihre beisteuern. Während die Mutter in ihren biologischen, emotionalen und sozialen Funktionen zunächst die wichtigere Person darstellte, teilen sich die Eltern im idealtypischen Fall ab der frühen Kindheit die unterschiedlichen Erziehungsaufgaben. Für den Vater erreichen die Aufgaben in der Pubertät des Kindes ihren Höhepunkt. Er trägt die besondere Verantwortung für den gelingenden Übergang ins Erwachsenenalter. Das muss er wissen und ausführen können. Deshalb ist die Entfremdung vom Vater eine schwerwiegender Fehler für die psychische Gesundheit der heranwachsenden Kinder und Jugendlichen.
(2) Zum Vollständigwerden des Jugendlichen gehören Mutter und Vater
Trotz der veränderten Selbstbilder von Frauen und Männern heutzutage in Familie und Gesellschaft repräsentiert der Vater symbolisch das Hinausgehen in die Welt. Er begleitet und befördert das Kind in das Erwachsenenalter und kann es schließlich angstfreier loslassen als die Mutter. Von der Art, wie er für seine Kinder in der Pubertät die Weichen stellt und sie in die Welt entlässt, hängt entscheidend ihre Bewährung im weiteren Leben ab. Dies bezieht sich auf die Identitätsbildung in den Bereichen Leib, Beruf, Partnerschaft und am Ende auch Familie (siehe Kapitel „Bezugsfamilie“).
Darüber hinaus wird in der Pubertät mit dem Schritt zur Geschlechtsreife das Gefühl für die eigene psychosexuelle Identität erst grundlegend gefestigt. Die Tochter kann im Idealfall durch die Identifikation mit dem Vater und durch seine Bestätigung ein weibliches Selbstbild und ein positives Männerbild verinnerlichen. Für den Sohn ist der Weg zu seiner eigenen männlichen Identität besonders wichtig, um Stärke, Selbstsicherheit, Autonomie und Mitgefühl zu erreichen. Dies sind die Ressourcen, die er für ein gelingendes Leben als Mann am meisten braucht. Er kann all dies am besten - und in gewisser Weise sogar nur - beim Vater lernen.
Parental Alienation Syndrome PAS (Elterliches Entfremdungssyndrom) - Eine schwerwiegende Störung des Elternsystems
Leider verläuft die Vater- und Elternschaft oft nicht so, wie dies für ein Kind notwendig und geeignet ist. Einem Vater fehlen die Ressourcen dafür vielleicht, weil sein eigener Vater sie schon nicht hatte. Eine andere wichtige Ursache ist die Entfremdung des – meist getrennt lebenden – Elternteils, was wiederum in 90% der Fälle der Vater darstellt. PAS kann auch in Anwesenheit des abgelehnten Elternteils in einer zusammenlebenden Familienkonstellation passieren.
Dieses als Parental Alienation Syndrome (PAS) bezeichnete Phänomen bekommt immer noch zu wenig Aufmerksamkeit, wird – auch von Gerichten und pädagogischen Fachkräften – bisweilen geleugnet oder schlichtweg ignoriert.
PAS – Die Symptome
Der amerikanische Kinderpsychiater Richard A. Gardner (1931 – 2003) definierte PAS aufgrund praktischer Erfahrungen und Forschung mit betroffenen Elternteilen schon 1985 mit folgenden Symptomen:
- 1Fortgesetzte und unbegründete Zurückweisung und Verunglimpfung eines Elternteils durch das Kind. An gemeinsame schöne Erinnerungen mit dem entfremdeten Elternteil kann sich das Kind nicht mehr erinnern. Das Kind wertet den entfremdeten Elternteil ab, ohne Anzeichen von Verlegenheit und Schuldgefühle zu zeigen. Es beschreibt ihn generell negativ, insbesondere als böse und angsterregend. Bei näherem Nachfragen können die Vorwürfe nicht näher präzisiert werden.
- 2Die Kinder entwickeln für ihre feindselige und ablehnende Haltung irrationale und absurde Rechtfertigungen, welche in keinem Zusammenhang mit tatsächlichen Erfahrungen stehen.
- 3Auffällig ist das Fehlen einer ambivalenten Einstellung zu den Elternteilen, bei der zu jedem Elternteil Vorzüge und Nachteile benannt werden können. Kinder mit PAS beschreiben einen Elternteil als nur gut und den anderen als nur böse. Diese rigide Schwarz-Weiß Spaltung ist besonders kennzeichnend für PAS.
- 4Automatisierte, reflexartige Parteinahme für den entfremdenden Elternteil. Vom entfremdeten Kind wird ohne zu zögern und ohne Zweifel, für den entfremdenden Elternteil einseitig Partei ergriffen.
- 5Ausweitung der Feindseligkeit auf die gesamte Familie und das weitere Umfeld des entfremdeten Elternteils. Kontakte zu Großeltern, Freunden und Verwandten des abgelehnten Elternteils, mit denen das Kind bislang eine gute Beziehung hatte, werden plötzlich ebenfalls mit absurden Begründungen abgelehnt.
- 6Der „eigene Willen“ und die „eigene Meinung“ des Kindes werden vom betreuenden Elternteil besonders betont und einseitig weiter gefördert. Von PAS betroffene Kinder können erstaunlicherweise schon oft im Vorschulalter betonen, dass alles, was sie sagen, auch wirklich ihre eigene Meinung ist.
- 7Abwesenheit von Schuldgefühlen und Mitgefühl gegenüber dem entfremdeten Elternteil. PAS – Kinder hegen keine Schuldgefühle oder Mitgefühl mit dem abgelehnten Elternteil. Sie behaupten, dass der abgelehnte Elternteil nicht unter dem Kontaktverlust leidet. Er sei selbst schuld und es sei gerecht, keinen Kontakt mehr zu ihm zu haben.
- 8Wiedergabe „geborgter Szenarien“: PAS Kinder schildern Szenarien und machen Vorwürfe, welche durch den betreuenden Elternteil - oft subtil, bisweilen offen - vermittelt wurden, die sie aber nicht selbst mit dem anderen Elternteil erlebt haben.
All diese Entfremdungssymptome kommen nicht von alleine, sondern sind Ergebnis des Verhaltens des entfremdenden Elternteils, der diese Inhalte offen oder subtil an das exponierte Kind vermittelt.
Literaturhinweise
Anni Lemberger, die im österreichischen Verein „Vaterverbot“ aktiv ist und sich intensiv mit dem PAS beschäftigt hat, schreibt dazu: „Die Entfremdung der Kinder von einem Elternteil ist nicht typisch weiblich, nur sind es in 98% nach einer strittigen Trennung die Mütter, denen die Rolle des alleine erziehungs- und obsorgeberechtigten Elternteils zuerkannt wird. In derselben Häufigkeit werden Väter zu Besuchern und Zahlvätern degradiert“.
Auch in Deutschland gibt es inzwischen zahlreiche Initiativen betroffener Väter, die sich mit ihrer Lage und den Auswirkungen des PAS auf ihr Leben und das der Kinder intensiv auseinandersetzen und versuchen, notwendige Änderungen zu erreichen. Besonders bekannt wurde die Initiative Väteraufbruch für Kinder. Für die psychische Gesundheit und das langfristige Kindeswohl sollte alles geschehen, damit kein PAS auftritt, weil dieses oft lebenslange Spuren in der Psyche des Kindes hinterlässt.
Besuchs- und Kontaktboykott
Der Besuchs- und Kontaktboykott von Seiten des erziehenden Elternteils (meistens der Mutter) ist ein besonders häufiges wie auch problematische PAS-Symptom und zugleich die negative schmerzhafte Konsequenz der Systemstörung, dem das entfremdete Elternteil (meist der Vater) hilflos ausgeliefert ist. Nach einer entsprechenden Untersuchung (Proksch, 2002) verlieren ungefähr 40% der betroffenen Kinder nach einem Jahr den Kontakt zum leiblichen Vater.
Die meisten Familiengerichte und Jugendämter stehen der Situation ahnungs- bis hilflos gegenüber. Der Wille des Kindes, den entfremdeten Elternteil nicht mehr sehen zu wollen, reicht vielfach aus, um die Besuchskontakte „als psychologisch sinnvoll“ auszusetzen. Die meist fehlende Intervention der zuständigen Stellen bei einer derart groben, aber nicht erkannten Kindeswohlgefährdung bedeutet dann, dass die Entfremdung zwischen Kind und (meistens) Vater weiter voranschreitet und es bisweilen nie mehr Kontakt oder Annäherung, geschweige denn eine echte Beziehung, gibt.
Die langfristigen Konsequenzen für das Kind und auch dessen Kinder als transgenerationale Effekte werden immer geleugnet und ignoriert. Neuerdings haben Gerichte in der Schweiz und Dänemark Elternteile (jeweils Mütter), die ein offensichtliches PAS nicht beendet haben, das Erziehungsrecht für ihre Kinder aberkannt, weil sie erkannt haben, welch schwerwiegende Schädigung diese Elternteile damit ihren Kindern zugefügt haben.
Fazit zum PAS
PAS beruht nicht nur auf einem elterlichen Dauerkonflikt, sondern ist eine Krankheit des Systems. Sie stellt den systematischen, psychischen Missbrauch des Kindes durch einen Elternteil dar auf der Basis realer oder subtiler Beeinflussung und Manipulation. Dabei nutzt der entfremdende Elternteil (meist die Mutter) den ihr durch den dauerhaften Umgang gegebenen Einfluss auf das Kind in egoistischer und narzisstischer Weise aus, um das Kind vom anderen Elternteil zu entfremden.
Vordergründig wird dies als im Interesse und auf Wunsch des Kindes hin deklariert. Dies ist aber nicht zutreffend, weil es das Recht und die Notwenigkeit des Kindes auf das Leben mit zwei Elternteilen negiert. PAS ist eine massive Kindeswohlgefährdung und bedarf einer frühzeitigen hilfreichen Intervention. Meist wird dies nur durch Instanzen außerhalb der Familie, wie Familiengericht oder Jugendamt, möglich sein. Diese erkennen in der Praxis PAS häufig immer noch nicht und halten es für Agitation des entfremdeten Elternteils. Zuletzt gab es immer wieder Versuche, das Konzept des PAS zu diskreditieren, um damit das Fortbestehen des ungerechten, kindesschädlichen status quo zu ermöglichen. Aus Sicht der Kinder- und Entwicklungspsychologie stellt PAS eine schwerwiegende und gleichzeitig in der Regel vermeidbare Kindeswohlgefährdung dar.
Fazit zum Thema Vaterschaft
Vaterschaft kann gelingen, wenn alle Beteiligten die Wichtigkeit des Themas - im Interesse vor allem der Kinder - erkennen.
Väter in vollständigen Familien machen heutzutage unter den oft nicht gewürdigten Multi-Stress-Bedingungen einen hervorragenden Job. Die vielen Störungen einer gelingenden Vaterschaft haben zum Teil mit den Männern selbst zu tun, wenn diese z.B. kein Vorbild eines zugewandten, liebevollen, starken Vaters hatten und diese Defizite auch nicht bewältigen konnten. Aber oft werden bindungswillige und –fähige Väter an der Beziehung zu ihren Kindern nach Trennung und Scheidung gehindert. Durch egoistische, narzisstische oder anderweitig unfähige Mütter und Frauen. Dies ist weder im Interesse der Mütter, wenn sie tatsächlich an der psychisch gesunden Entwicklung ihres Kindes interessiert sind, noch der Väter, die unnötig leiden müssen und oft dann für Dinge aus einer anderen Welt bestraft und gedemütigt werden.
Und schon gar nicht ist es im Interesse der Kinder, für die sich dadurch Verletzungen und Störungen auftun, die sie nachhaltig behindern und krank machen. Leider dann bisweilen ein Leben lang. Und dadurch schädigt es sie späterhin wieder in ihrer eigenen Elternkompetenz, so dass eine weitere Generation Nachteile erlebt.
Das Drama des vaterlosen Kindes
Das Drama des vaterlosen Kindes ist der eigentliche Skandal des derzeitigen Familienrechts und der Familienpraxis in vielen Fällen. Das vielfache Versagen der Behörden für die grundlegenden Kindes- und Väterinteressen ist ein nicht tolerierbarer Zustand. Dabei besteht noch die Gefahr der transgenerationalen Wiederholung. Vaterlos aufgewachsene Söhne werden wieder zu Vätern, die ohne ihr Kind aufwachsen oder diesem massiv entfremdet werden. Bei mehr als 150.000 Scheidungsfällen in Deutschland jährlich ist eine nicht genau bekannte Zahl von Kindern in diesem Sinne betroffen. Jedes einzelne ist eines zu viel.
Wenn Sie konkret als Vater betroffen sind…
Schließen Sie sich einer Väterselbsthilfegruppe an, ziehen Sie sich nicht völlig zurück und bleiben mit Ihrem Ärger und Ihrer Wut nicht alleine. Was Sie erleben und erleiden, ist nicht normal und sollte sich ändern! Wenn Sie den Eindruck haben, dass Sie es nicht mehr schaffen und eine Veränderung für sich erreichen wollen, beginnen Sie eine männer- und vaterspezifische Beratung oder Psychotherapie.
Weiterführende Literatur:
Hummel, Katrin (2010). Entsorgte Väter. Der Kampf um die Kinder: Warum Männer weniger Recht bekommen. Köln: Lübbe.