Die Kaufmännische Krankenkasse KKH berichtet auf der Basis der Auswertung eigener Versichertendaten einen deutlichen Anstieg der Krankheitstage aufgrund psychischer Störungen. Vor allem Diagnosen im Bereich Depression, Ängste und psychische Erschöpfung allgemein zeigten sich im Berichtsjahr 2022 gehäuft. Gerade die Kombination aus depressiven und erschöpfungsartigen Befindlichkeiten haben im Zuge der seit 2020 vorherrschenden Corona-Pandemie zugenommen. Die Zunahme im Bereich psychischer Diagnose von 2021 auf 2022 beträgt 16 Prozent.
Am häufigsten fehlten Berufstätige 2022 wegen depressiver Episoden am Arbeitsplatz. Mit einem Anteil von 30 Prozent macht diese einzelne Diagnose die Mehrheit der Ausfalltage im Zuge psychischer Erkrankungen aus. Knapp dahinter folgen mit 28 Prozent depressive Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen. Fast 15 Prozent der Krankheitstage hatten mit wiederkehrenden Depressionen zu tun. Etwas mehr als 12 Prozent bezogen sich auf chronische Erschöpfung und rund acht Prozent auf Angststörungen. Die Untersuchung beruht auf den Daten von etwa 1.6 Millionen Versicherten. Die KKH ist damit eine der bundesweit größten gesetzlichen Krankenkassen.
Männer bei den Zunahmen besonders stark betroffen
Besonders auffällig bei den untersuchten Daten sind die Zunahmen bei den Männern. Die Krise scheint die Männer noch stärker zu belasten als die Frauen. Zwar sind nach wie vor deutlich mehr Arbeitnehmerinnen von psychischen Erkrankungen betroffen als Männer. Aber bei den Männern spiegelt sich eine deutliche Veränderung wider. Bei ihnen verzeichnet die KKH bei sämtlichen Diagnosen einen deutlich größeren Anstieg als bei den Frauen, vor allem mit Blick auf Angststörungen und somatoforme Störungen (körperliche Symptome aufgrund psychischer Belastungen). Bei den Männern war eine Zunahme der Angststörungen um 40 Prozent festzustellen (Vergleichswert bei den Frauen: 19 Prozent). Bei den somatoformen Störungen gab es einen Anstieg von 6 Prozent bei den Frauen und gut 21 Prozent bei den Männern. Mittlerweile liegt der Anteil der Arbeitnehmer mit psychischen Diagnosen 34 % Männer und 66% Frauen. Dies bedeutet einen stetigen Zuwachs des relativen Männeranteils.
Hier finden Sie die Statistik zur Entwicklung des prozentualen Anteils der berufstätigen Männer mit psychischen Erkrankungen seit der Corona-Krise.
Hintergründe bei den Männern noch weitgehend unklar
Die KKH-Arbeitspsychologin Antje Judick sagt: „Es sind vor allem die Folgen der Einschränkungen während der Corona-Krise, die sich nun offensichtlich bei den Männern nun psychisch bemerkbar machen“. Aber letztlich sind die Gründe für den starken Zuwachs bei den Männern unklar. Das liegt auch daran, dass es nach wie vor zu wenig männerspezifische psychische Gesundheitsforschung gibt. Es dreht sich vermutlich um ein Bündel von Faktoren wie Vereinsamung während der Pandemie, Stress durch Ernährer- und Beschützerrolle, weniger körperliche Aktivität während der Corona-Zeit, häufigere Mehrfachbelastung in Beruf und Familie sowie das zunehmend negative gesellschaftliches Männerbild.
Hinzu kommt, dass mit Inflation und Wirtschaftskrise immer mehr Männer als Haupternährer ernsthafte Sorgen um das Wohl ihrer Familien machen. Existenz- und Zukunftsängste dürften auch im Jahr 2023 vor dem Hintergrund von Kriegsrisiken und Rezession weiter zunehmen. Weitgehend unberücksichtigt bleibt bislang in Studien das gesellschaftlich negativere Klima in Bezug auf Männer. Interessant ist auf jeden Fall, dass während der Pandemiejahre in den Medien immer wieder auf den gesundheitlichen Stress, dem Frauen in Beruf und Familie unterworfen waren, hingewiesen wurde, während sich kaum jemand Gedanken um die Männer gemacht hat. Das rächt sich jetzt.
Für die psychische Gesundheit von Männern muss mehr getan werden
Es fehlt weitgehend an männerspezifischen Präventions- und Therapieprogrammen. Das Thema psychische Männergesundheit ist immer noch tabuisiert. Die Krankenkassendaten zeigen aber, dass Männer in der seit Jahren andauernden gesellschaftlichen Krisenstimmung zunehmend Leidensdruck entwickeln. Die immer wieder skizzierten Angstszenarien hinterlassen ihre Spuren. Dabei gibt es kein gesellschaftliches Klima, das die Männer entlastet. Völlig im Unterschied zu Frauen, denen Stress und Doppelbelastung fast automatisch zugeschrieben wird.
Wenn Männer leiden oder klagen, müssen sie immer noch mit Unverständnis und Ablehnung rechnen. Viele Männer zeigen eine Abwehr gegenüber Arztbesuchen, emotionaler Selbstreflektion und Öffnung gegenüber Dritten, so dass sie seltener und später Hilfe suchen. Das sollte sich vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Lage dringend ändern. Männer dürfen genauso Belastungsgrenzen, Krankheitssymptome und Hilfebedarf zeigen wie Frauen. Das muss ihnen vor allem selbst klar sein.
Mehr zum Thema psychische Männergesundheit finden hier.