Getrennt lebende Elternteile – vor allem Väter – verlieren in mehr als 100.000 Fällen jährlich den Kontakt zu ihrem Kind. Sehr viele getrennt lebende Väter wollen, dass es ganz anders kommt, dass sie weiterhin im Leben ihres Kindes eine wichtige Rolle spielen. Ihr Wunsch wird dann in den Nachtrennungsquerelen zum Gegenstand von Manipulation, Erpressung und Verunglimpfung. Viele öffentliche Instanzen (Jugendämter, Familiengerichte) erkennen immer noch nicht die Konsequenzen, die sich für Kinder aus dem psychosozialen Verlust eines Elternteils ergeben. In der Psychologie ist dieses Phänomen schon seit Jahrzehnten unter dem Begriff „Eltern-Kind-Entfremdungssyndrom“ EKE (englisch: Parental Alienation Syndrome PAS) bekannt.
In vielen Studien konnte gezeigt werden, dass Kinder langfristig darunter leiden, wenn ihnen ein Elternteil entfremdet wird. Oft wirken sie dann unbewusst an der Entfremdung des getrennt lebenden Elternteils mit, verhalten sich ablehnend und feindselig, machen sich unbewusst im Auftrag des entfremdenden Elternteils viele Lebenschancen zunichte. Auch die psychische Gesundheit dieser Kinder leidet oft nachhaltig.
Auch Großeltern leiden unter der Entfremdung von ihren Enkeln
Was bislang noch weniger Berücksichtigung als das EKE-Syndrom fand, sind die Auswirkungen auf weitere Familienmitglieder, vor allem die Großeltern. Dabei sind durchaus viele Großeltern von einer Entfremdung von ihren Enkeln betroffen. In den meisten Fällen, in denen ein Elternteil entfremdet ist, ist auch das Großelternteil entfremdet. Damit wird den betroffenen Kindern oft eine ganze Erlebnis- und Erfahrungswelt vorenthalten. Da es sich jährlich um mehr als 100.000 EKE-Fälle in Deutschland handelt, vor allem aufgrund es nicht reformierten Familienrechts, dürften auch ähnlich viele Großeltern betroffen sein.
Ist ein getrennt lebendes Eltern teil – häufiger Väter, seltener Mütter – entfremdet, so besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Großeltern dieses Familienteils ebenfalls betroffen sind. Das Phänomen wird im Folgenden Großeltern-Enkel-Entfremdungssyndrom (GEE; englisch: Grandparental-Alientation Syndrome GAS) genannt. Aus der Forschung zu Großeltern-Enkel-Beziehung ist bekannt, dass eine regelmäßige, intensive Beziehung zu den Enkeln sich positiv auf die Gesundheit und Lebensdauer der Großeltern auswirkt. Im Falle des GEE-Syndroms – die entsprechende Forschung fehlt hier noch – ist das Gegenteil anzunehmen.
Die wichtigsten Symptome des EKE
Das Entfremdungssyndrom kann viele Gesichter haben. Wenn auch Großeltern entfremdet werden, sind die Symptome auf dieser Ebene denen der Elternebene meist sehr ähnlich. Deshalb werden sie hier aufgelistet:
- Fortgesetzte und unbegründete Zurückweisung und Verunglimpfung eines Elternteils durch das Kind.
- Die Kinder entwickeln für ihre feindselige und ablehnende Haltung irrationale und absurde Rechtfertigungen, welche in keinem Zusammenhang mit tatsächlichen Erfahrungen stehen.
- Kinder beschreiben einen Elternteil als nur gut und den anderen als nur böse. Es handelt sich um eine übertriebene, dauerhafte Spaltung der Sichtweise in Bezug auf die Eltern.
- Automatisierte, reflexartige Parteinahme für den entfremdenden Elternteil und gegen den entfremdeten Elternteil.
- Ausweitung der Feindseligkeit auf die gesamte Familie und das weitere Umfeld des entfremdeten Elternteils. Dieses Symptom betrifft die Eltern des entfremdeten Elternteils direkt, also die Großeltern väterlicher- oder mütterlicherseits.
- Der „eigene Willen“ und die „eigene Meinung“ des Kindes werden vom betreuenden Elternteil besonders betont und einseitig weiter gefördert. Dies soll die erfolgte, subtile Manipulation ungeschehen machen. Betroffene Kinder können erstaunlicherweise schon oft im Vorschulalter betonen, dass alles, was sie sagen, auch wirklich ihre eigene Meinung ist.
- Abwesenheit von Schuldgefühlen und Mitgefühl gegenüber dem entfremdeten Elternteil. Der abgelehnte Elternteil würde nicht unter dem Kontaktverlust leiden. Er sei selbst schuld daran und es sei richtig, keinen Kontakt mehr zu ihm zu haben.
- Wiederholung und Wiedergabe „geborgter Szenarien“, welche die Kinder gar nicht selbst erlebt haben. Diese sind ihnen durch das entfremdende Elternteil offen oder subtil vermittelt worden.
Es ist anzunehmen, dass sich die EKE-Symptome in ähnlicher Form auch auf die Großeltern auswirken. Für sie, die meist nur indirekt an den Nachtrennungsquerelen der Eltern ihrer Enkel beteiligt sind, ist es besonders bitter, den Verlust ihrer Enkel zu erleben. Sie sind dabei ohnmächtig den entfremdenden Aktivitäten ihrer Schwiegertöchter und -söhne exponiert.
Genug Tränen – Dies trifft auch auf Großeltern im Entfremdungssyndrom zu
Die bundesweite Kampagne #Genug Tränen macht nicht nur auf die Situation entfremdeter Kinder und Elternteile aufmerksam, sondern auch auf die negativen Auswirkungen auf Großeltern. Sie will für 2023 eine Änderung des Familien- und Umgangsrechts erreichen, damit Kinder nicht länger durch ein entfremdendes Elternteil vom anderen Elternteil distanziert und ferngehalten werden. Die Postulate beziehen sich auch auf die Verbesserung der Situation der entfremdeten Großelternteile.
Die Forderungen der Kampagne werden auch von der Bundesinitiative Großeltern (BIGE) unterstützt. Diese Initiative setzt sich für die von Trennung und Scheidung betroffenen Kinder ein. Sie will, dass Enkelkinder den Kontakt mit ihren Großeltern aufrechterhalten können, auch wenn sich die Eltern getrennt haben.
Die 80-jährige Maria weiß nicht, ob sie jemals ihre Enkelin noch einmal sieht
Auf der Website von Genug-Tränen ist folgender Fall aus Großelternsicht dokumentiert.
Vor drei Jahren war die Welt noch in Ordnung. Es schien, dass nichts auf der Welt diese Ordnung erschüttern könnte. Seitdem ist alles anders. Alles steht Kopf. Ich habe den Kontakt zu meiner geliebten Enkelin verloren! Aber der Reihe nach: Katja, meine liebe Enkelin, wurde im Frühjahr 2012 geboren. Mein Sohn hatte sich zu der Zeit schon von seiner damaligen Partnerin, mit der er nicht verheiratet war, getrennt. Hals über Kopf verließ diese kurz nach Katjas Geburt das bis dahin noch gemeinsam bewohnte Haus und nahm das Kind mit. In der nun folgenden Zeit zeichnete sich schon ab, dass die Mutter Katja besitzen und ohne den Vater großziehen wollte, denn eine einvernehmliche Umgangsregelung war, trotz Beteiligung des Jugendamtes, nicht zu vereinbaren.
Das erste Gerichtsverfahren vor dem Familiengericht bahnte sich also an, um eine Umgangsregelung festzulegen, die von der Mutter zunächst zähneknirschend, dann aber dennoch recht zuverlässig umgesetzt wurde. Zwei Jahre später, 2015, wurde gerichtlich um das Sorgerecht gestritten, denn die gemeinsame Sorge kam für die Mutter niemals in Frage. Das Oberlandesgericht bestätigte schließlich den Beschluss des Amtsgerichts, dass die elterliche Sorge nun gemeinsam ausgeübt wird.
Mein Sohn kam oft mit seiner neuen Partnerin und Katja zu Besuch zu mir, wo ich alleine – mein Mann ist vor 8 Jahren gestorben – in einem Haus mit großem Grundstück lebe. Katja hat es geliebt, um das Haus herumzutollen, am nahen Bachlauf zu spielen oder mit mir im Garten zu arbeiten. Und mir hat es Spaß gemacht zuzuschauen, wie Katja sich über all diese neuen Eindrücke freut, die sie in der Stadtwohnung ihrer Mutter nicht hatte.
Wir sind auch zu viert in Urlaub gefahren und ich habe mir dann mit Katja ein Zimmer geteilt. Das war für sie immer das Größte. Ob wir nun im Harz, im Schwarzwald oder im Allgäu waren, ich habe mich immer sehr über Katjas quirlige Gegenwart gefreut und Katja wich mir nicht von der Seite. Ich war immer schon traurig, wenn es hieß Abschied, zu nehmen. Aber ich wusste ja, es ist nicht für lange.
An einem Wochenende im April 2018 stand wieder ein Besuch meiner Enkelin an, denn mein Sohn war mit ihr in der Nähe auf einem Vater-Kind-Wochenende und die beiden wollten anschließend noch bei mir vorbeischauen, bevor Katja am Sonntagabend wieder zu ihrer Mutter zurückkehren sollte.
Katja berichtete mir stolz von ihren Erlebnissen des Wochenendes gemeinsam mit ihrem Papa. Sie habe einen erloschenen Vulkan besucht und – wie früher die Höhlenmenschen – Feuer gemacht.
Katja war müde aber glücklich, als die beiden schließlich nach Hause aufbrachen. Es sollte das letzte Mal sein, dass ich mit Katja Kontakt hatte und mit ihr sprechen konnte. Es zerreißt mir das Herz.
Seit Katjas Rückkehr zu ihrer Mutter an diesem Wochenende verhinderte diese aus heiterem Himmel zunächst weitere Umgangskontakte mit meinem Sohn, bis Katja dann schließlich selbst vehement den Umgang mit ihrem Vater und der gesamten väterlichen Familie, also auch mit mir, ablehnte. Die Vermittlungsversuche des Jugendamtes konnten Katjas ablehnende Haltung zunächst überwinden und Katja konnte an zwei Wochenenden im November wieder zu ihrem Vater. Alles war wie zuvor. Katja war fröhlich und zufrieden.
Nun erstattete die Mutter Strafanzeige gegen meinen Sohn wegen Körperverletzung gegenüber Katja. Damit hatte sie nun endlich Erfolg, denn der Umgang wurde nun zunächst gerichtlich ausgesetzt und ein familienpsychologisches Gutachten beauftragt. Das Gutachten ergab, dass Katja in einem Loyalitätskonflikt steckt, dass sie eine für sie ungesunde symbiotische Verbindung mit der Mutter hat und in dieser Folge die Verbindung zum Vater geopfert hat. Man empfahl, den Eltern eine Beratung und Katja sollte durch eine unabhängige Vertrauensperson entlastet werden. Beides – Beratung und Hilfe für Katja – wurden von Katjas Mutter erfolgreich verweigert, so dass am Ende, aufgrund der über die verstrichene Zeit festgefahrenen Situation, der Umgang zwischen Katja und meinem Sohn gerichtlich für weitere 18 Monate ausgesetzt wurde.
Dies hieß nun auch für mich, dass ich Katja, meine kleine freundliche, fröhliche Enkelin, lange Zeit nicht wiedersehen würde. Ich war erschüttert. Der lange, zermürbende Kampf meines Sohnes um seine geliebte Tochter hat ihn krankgemacht. Es tut mir sehr weh, wenn ich sehe, dass all seine Bemühungen ins Leere laufen und von den Richtern und sonstigen Beteiligten völlig ignoriert werden. Er leidet sehr – und ich leide mit ihm.
Ein Kind braucht doch beide Eltern, um glücklich zu sein. Warum sieht dies niemand? Ich bin nun 80 Jahre alt und habe selbst nicht mehr die Kraft, mich einem Gerichtsverfahren zu stellen, um meinen Umgang mit Katja zu erkämpfen. Ich hoffe nur sehr, dass mein Sohn wieder Kontakt zu Katja bekommt, dass Katja ihre Oma nicht vergisst und dass die Wunden heilen. Ich würde mir so sehr wünschen, dass Katja wieder um mich herumtollen würde – so wie früher.
Aber ich weiß nicht, ob ich das noch erleben darf…“
Enkelkinder sind die Morgenröte des Alters
Dabei sind Enkel und Großeltern einander besonders wichtig. Deshalb ist die Politik aufgefordert, endlich die unmenschlichen Zustände, die sich aus dem geltenden Familienrecht ergeben, zu beenden. Bei dem Essener Psychoanalytiker Prof. Günter Heisterkamp heißt es in Anklang an Victor Hugo „Enkelkinder sind die Morgenröte des Alters“. Mit diesem klugen Satz wird deutlich, was Großeltern für ihre Enkel bedeuten können und umgekehrt. Enkel nehmen im Idealfall die Gelassenheit und Weisheit ihrer Großeltern auf, die Großeltern erfahren Vitalität und Bedeutsamkeit durch ihre Enkel. Es handelt sich um eine wechselseitige Win-Win-Beziehung, ganz bewusst über Generationen hinweg. Das macht die Leichtigkeit und Einfachheit dieser Beziehung aus. Es gibt keinen Erziehungsstress, sondern das Geschenk der bedingungslosen Liebe, was im Unterschied dazu Eltern nicht immer gelingt.
Im deutschen Alterssurvey 2014 bewerteten 92% der Großeltern ihre Rolle als Großeltern als sehr wichtig oder wichtig. Das sehen Großmütter und Großväter im Übrigen erstaunlich ähnlich. Zur Entwicklung einer intensiven und positiven Großeltern-Enkel-Beziehung bedarf es jedoch regelmäßiger Kontakte. Zwischen 50% und 90% der Großeltern berichten, dass sie mit ihren Enkelkindern mindestens einmal in der Woche persönlichen Kontakt haben – also mehr als über elektronische Medien oder Telefon.
Was nötig und möglich ist!
Es ist längst überfällig, Kindern nach Kräften beide Eltern nach Trennung und Scheidung zu erhalten. Dafür ist das Wechselmodell, das einen abwechselnden Verbleib der Kinder bei der Mutter und dem Vater vorsieht, günstig und wirksam. Die internationale Forschungslage zum Wechselmodell ist sehr positiv. Für die Kinder bedeutet es, dass sie eine intensive und nicht nur von gelegentlichen Besuchen gekennzeichnete Beziehung zu beiden Elternteilen aufrechterhalten können. Die Idee des Wechselmodells gilt auch für die Großeltern. Denn Familien sind Personensysteme über mehrere Generationen hinweg. Die bestehenden Gesetze und die Praxis vieler Gerichte und Jugendämter sind dafür nicht ausreichend, sondern erzeugen oder stabilisieren Eltern-Kind-Entfremdung (EKE) und damit leider oft auch Großeltern-Enkel-Entfremdung (GEE). Entfremdende, uneinsichtige Elternteile müssen verpflichtet werden, den Umgang ihrer Kinder mit dem getrennt lebenden Elternteil und den entfremdeten Großeltern zu fördern.
In seltenen Fällen, bei denen getrennt lebende Elternteile und Großeltern das Kindeswohl gefährden, kann das Familiengericht den Umgang einschränken, begleiteten Umgang einsetzen oder den Umgang verbieten. Für die große Mehrzahl der entfremdeten Großeltern sind Staat und Gesetzgeber aufgefordert, für menschenwürdige Zustände zu sorgen. Dies liegt im Interesse der Enkelkinder und der Großeltern. Ein Umgang mit allen Großelternteilen stärkt das Wohlbefinden der Enkelkinder, ihre sozialen und familialen Kompetenzen und ist eine positive Investition in die Zukunft der Gesellschaft. Das zuständige Bundesministerium (BMFSFJ) sollte endlich die nötigen Reformen im Familienrecht voranbringen und sich nicht schwerpunktmäßig in immer neuen Initiativen für immer speziellere Minderheiten hervortun. Bei EKE und GEE sind große Teile der Bevölkerung und Millionen Kinder und Jugendliche betroffen. Weiteres Nichtstun ist gefährliches Handeln durch Unterlassung.
Weiterführende Links & Buchhinweis
Weitere Informationen und Hilfen gibt es bei www.grosselterninitiative.de und https://www.papa-mama-auch.de/.
Heisterkamp, Günter (2015). Vom Glück der Großeltern-Enkel-Beziehung. Wie die Generationen sich wechselseitig fördern. Gießen: Psychosozial-Verlag.