UA-176845053-2 Mr. Nice Guy – der nette Kerl von nebenan. Ein Weg für Männer?

Februar 3

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Mr. Nice Guy – der nette Kerl von nebenan. Ein Weg für Männer?



In den letzten 20 Jahren hat sich ein Typus Mann explosionsartig vermehrt, der kurz als „Mr. Nice Guy“ bezeichnet wird, der nette Kerl von nebenan. Er ist hilfreich, empathisch, zugewandt, besonders zu Frauen. Dennoch findet er keinen Respekt, sondern findet sich am Ende als Spielball aller wieder. Also: offenbar kurzfristig eine gute Lösung zur Stressvermeidung, langfristig kein guter Weg. Aber schauen wir genauer hin.

Ein Rollenmodell fürs Mannsein? Einfach nur nett sein…

Männer leben in vielen Rollen und verhalten sich insgesamt sehr unterschiedlich. Die Variabilität der Geschlechtsrollen ist stark und das ist auch gut so. Die Unterschiede innerhalb der Männer ist größer als die Mittelwertsunterschiede zwischen den Geschlechtern. Sicher gab es schon immer Männer, die anderen, besonders Frauen, mit allen Mitteln gefallen wollten. Aber diese Rolle hat, seitdem es radikalen, aggressiven Feminismus gibt, sicher das stärkste Wachstumspotential innerhalb der Männerrollen. Es ist der „Mr. Nice Guy“, der nette Kerl, der stets zugewandt, hilfreich und empathisch ist, aber sich auch in vorauseilendem Gehorsam unterordnet, von dem hier die Rede ist. Diese Männer glauben, dass sie durch übermäßige Anpassung und Wohlverhalten die Gunst ihrer Partnerin erwerben müssen – und zwar immer wieder aufs Neue.

Sie fühlen sich innerlich unsicher und sind oft ängstlich. Nett zu sein, sich immer anzustrengen dafür, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse hintanzustellen, ist für sie die scheinbar beste Lösung und sie tun alles dafür, dadurch zu gefallen („love to please“ heißt dieses Muster andernorts). Das dahinter stehende Lebensgefühl, nicht in Ordnung zu sein, so wie sie sind, kennen diese Männer oft schon von früher Kindheit an, sind sich dessen aber oft nicht bewusst. Woher kommt dieses Verhaltensmuster, das so ganz dem klassischen Bild des starken, autonomen Mannes widerspricht? Diese Frage zu beantworten und Lösungen zu finden, mit denen Männer zufriedener leben könnten, ist von großer Wichtigkeit. Denn heutzutage gibt es mehr nette Kerle als autonome Männer!

Fehlende Väter und dominante Mütter – ein Nährboden für Mr. Nice Guys

Seit die Lebensentfaltungsmöglichkeiten für Frauen als Folge der Emanzipation zahlreicher geworden sind, haben sich immer mehr Männer unbewusst dafür entschieden, sich ihrer starken Mutter, ihrer dominanten Frau oder auch einfach nur allen Frauen und anderen unterzuordnen. Mit dem Feminismus der letzten gut 30 Jahre geht auch die Verunglimpfung vieler männlicher Wesensarten und Tugenden einher. Dominant auftretende Frauen erzeugten in Männern Angst, dass sie Fehler machen, wenn sie sich nicht unterwürfig und angepasst verhalten.

Oft beginnt diese Entwicklung schon in der Kindheit mit einer starken, dominanten Mutter. Gerade alleinerziehende Mütter – im Jahre 2020 waren es 2.09 Mill. in Deutschland – weisen nicht selten die Tendenz auf, Jungen ihre Werte alternativlos überzustülpen. Bisweilen werden die Kinder wie ein Besitz behandelt. Der Film „Weil Du mir gehörst“ hat dies vielen Zuschauern eindringlich gezeigt. Knapp 20% aller Familien bestehen inzwischen aus einem alleinerziehenden Elternteil und Kind(ern). Der Mangel an väterlichen Modellen und die Dominanz feministischer Werte bereiteten den Boden für eine Generation von Männern, die als Nice Guys versuchten, zu gefallen und nicht anzuecken. Diese sind zu Frauen meist sehr nett und hilfsbereit, nie aufbrausend, jedenfalls äußerlich nicht. 

Unterordnung, Anpassung und Gehorsam – alles aus Ängstlichkeit gegenüber Frauen

Das Leben der Nice Guys besteht aus Unterordnung, Anpassung und Gehorsam. Was sich jedoch als Folgeproblem erweist, ist, dass sie erfolglos bei Frauen und oft auch im Beruf sind. Sie bleiben in Gruppen konturlos und seltsam unsichtbar, was daher rührt, dass sie aus Ängstlichkeit keine eigene Meinung vertreten oder, wenn sie dies tun, sich schnell der Meinung der dominanten Person anpassen. Verantwortlich dafür ist, dass sie innerlich von Angst und Unsicherheit beherrscht sind.

Die Hauptmerkmale dieser Männer sind, dass sie nicht für sich selbst eintreten, ihre Bedürfnisse und Wünsche meist nicht kennen und schon gar nicht verfolgen. Sie verbiegen sich extrem, um Frauen zu gefallen und scheitern dennoch, weil sie ohne Konturen und Stärke bleiben. Von anderen Männern werden sie implizit nicht akzeptiert und nicht für voll genommen. Sie vermitteln Frauen nicht das Gefühl, dass sie diese beschützen können. Dies ist die Grundlage für einen Teufelskreis aus Angst – Zurückweisung – verstärkte Anpassung – noch mehr Angst. Nice Guys können mit Besinnung auf ihre männlichen Qualitäten lernen, Angst und Unsicherheit zu reduzieren. Dies ist ein beschwerlicher, aber lohnender Weg zum authentischen, starken und liebensfähigen Mann. 

Was ist eigentlich so schlimm daran, ein Nice Guy zu sein?

Im Prinzip macht Mann sich und anderen das Leben mit diesem Muster schwer. Auf den ersten Blick sind Nice Guys ja nette Kerle. Aber alle wissen, was es mit dem Zustand des „Nettseins“ auf sich hat. „Nettsein ist die kleine Schwester von Scheiße“ hieß ein Bestseller im Jahr 2011. Im Grunde sind Nice Guys aber Männer, die durch ihre Defensivität, tiefe Unsicherheit und Konturlosigkeit sich und anderen unnötig das Leben schwer machen. Dies rührt daher, dass sie sich im Inneren nicht ausreichend akzeptiert und gefördert fühlten. Oft fehlt ein Modell gelingender Männlichkeit, weil kein entsprechender Vater vorhanden war.

Auch Medien und Schule versagen heutzutage überwiegend, geeignete Modelle zu zeigen. Viel öfter werden starke Männer verunglimpft und als toxisch dargestellt. Mit Stärke meine ich nicht Kraft oder Gewalt, sondern innere Stärke, Gelassenheit und eine authentische Persönlichkeit. Jungen müssen wieder die Gelegenheit bekommen, sich und ihre Stärke kennenzulernen, sich in Rivalität zu messen, aber auch Feinfühligkeit und Mitgefühl zu entwickeln. Nette Kerle erleben im Alltag immer wieder Probleme, da sie ihr wahres Wesen aus Angst verstecken und verleugnen. Dadurch sind sie nicht authentisch, sondern künstlich. Andere – vor allem Frauen – spüren dies und verachten diese Art Mann. 

Die vielfältigen Probleme von Nice Guys und deren Hintergründe

Die wichtigsten Probleme von Nice Guys sind vielfältig. Die wichtigsten sind (vgl. Glover, 2021): 

(1) Sie sind unehrlich, weil sie ihre Fehler und Schwächen meinen verbergen zu müssen und Konflikte vermeiden. Sie verhalten sich so, wie sie glauben, dass es bei anderen am besten ankommt. 

(2) Sie sind Geheimniskrämer, weil sie auf der Suche nach Anerkennung und Bestätigung sind. Daher müssen sie alles verstecken, von dem sie erwarten, dass es nicht auf Zustimmung und Begeisterung stößt. 

(3) Sie schotten ihr Inneres ab und errichten einen Schutzwall nach außen. Sie sortieren widersprüchliche Informationen über ihr Verhalten und ihre Persönlichkeit in verschiedenen Bereichen, so dass sie den notwendigen Konflikten entgehen. Je nach Situation und Anforderungen verhalten sie sich daher sehr unterschiedlich. Ihr Verhalten erinnert an ein chamäleonhaftes Muster. 

(4) Um ihre Diffusität und Unklarheit gegenüber anderen aufrechterhalten zu können, müssen Nice Guys sich oft manipulativ verhalten. Sie äußern ihre Bedürfnisse nicht konsequent und greifen zu indirekten Methoden, um Zuwendung und Aufmerksamkeit zu erhalten. Dazu gehört es auch, sich schwach und hilflos, aber auch extrem fürsorglich und hilfsbereit zu zeigen, um damit letzten Endes das zu bekommen, was man sich ersehnt, aber nicht traut offen zu bekennen. 

(5) Nice Guys werden mehr und mehr zu Kontrollmenschen. Damit alles reibungslos und ohne Überraschungen in ihrer Umgebung abläuft, müssen sie die Dinge im Voraus und so weit wie möglich kontrollieren. Sie vermeiden daher gerne spontane und unberechenbare Aktivitäten. 

(6) Im Kern sind sie berechnend und eigennützig. Sie geben nur, um zu bekommen. Geschenke und Zuwendung sind meistens nicht uneigennützig und aus tiefstem Herzen. Auch eine gezeigte Großzügigkeit hat immer den Beigeschmack, dass eine Gegenleistung erwartet, ja fast gefordert wird. Dies alles läuft unausgesprochen oder mit einem humorvollen Kommentar ab. Sie wünschen sich Wertschätzung und Respekt oder auch nur das Ende einer negativen emotionalen Stimmung. Dafür sind sie bereit, alles zu tun oder zu geben. Sie können ihr Bedürfnis dabei nicht geradeheraus ausdrücken und für ihre Gefühle einstehen, sondern benutzen den Umweg über die vermeintliche Großzügigkeit. 

(7) Nice Guys verhalten sich insgesamt passiv-aggressiv. Enttäuschung, Groll oder Ärger bringen sie – wenn überhaupt – nur indirekt und verklausuliert zum Ausdruck. Sie können nicht authentisch ihr Gefühl äußern, sondern kaschieren dieses mit vermeintlichem Humor oder zeigen ihre verletzte Befindlichkeit nonverbal. Das Gegenüber muss die Gefühle des Nice Guys erraten und dann darauf eingehen. 

(8) Sie sind voller Wut, die nicht nach außen dringt, aber dennoch spürbar ist. Häufig leugnen sie, das Gefühl der Wut überhaupt zu kennen. Da ihr Leben aber meist von Enttäuschungen und Kränkungen gekennzeichnet ist, bleiben die Spuren von Wut tief im Inneren erhalten und zeigen sich durch Verbitterung und Negativität nach außen. Allerdings kann die unterdrückte Wut episodenhaft – besonders unter enthemmenden Einflüssen wie Alkohol und Drogen – nach außen dringen. Nahestehende Personen erleben solche Nice Guys dann als ambivalent im Stile von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. 

(9) Nice Guys neigen oft zu Suchtverhalten. Denn Süchte bauen vordergründig Stress ab, verändern die Stimmungslage, lindern seelischen Schmerz und unterdrücken starke Emotionen (vor allem Wut, Ärger, Trauer). Zu den häufigsten Süchten zählen Alkoholabhängigkeit, Glücksspielsucht und Sexsucht. 

(10) Sie haben oft extreme Probleme sich abzugrenzen, wollen es allen und immer Recht machen. Nein-Sagen ist eine schwere Sache, weil Nice Guys fürchten, dann ganz abgelehnt zu werden. Sie fühlen sich anderen gegenüber ausgeliefert, weil die Grenze zur Überlastung nicht existiert oder zu spät einsetzt. 

(11) Diese Personen sind oft emotional und real isoliert. Sie sehnen sich zwar danach, gemocht und geliebt zu werden, jedoch machen sie es anderen mit ihrem Verhalten schwer, ihnen wirklich nahe zu kommen. 

(12) Nice Guys haben oft Probleme in Liebesbeziehungen und entwickeln sexuelle Probleme. Die Paarbeziehungen werden schnell zur Quelle von Konflikten, weil sie schlecht zuhören können, da sie schon innerlich mit eigenen Rechtfertigungen und Verteidigungen beschäftigt sind oder der Partnerin helfen wollen, bevor sie überhaupt ihr Problem verstanden haben. Auch ihre Konfliktscheue und Unehrlichkeit führen immer wieder zu Konflikten. Weil sie unter starkem Leistungsdruck und Perfektionismusstreben stehen, entstehen auch oft Sexualprobleme, die aber anfangs intensiv geleugnet und abgewehrt werden. 

Diese 12 Hauptsymptome im Verhalten von Nice Guys müssen nicht immer alle gleichzeitig auftreten, machen aber die Kernsymptomatik des Verhaltens aus. Wie unschwer zu erkennen ist, besteht die Symptomatik aus einem großen Anpassungsdruck, der seine Wurzeln meist schon in der frühen Kindheit hat. Ein Mangel an grundlegender Akzeptanz und die Angst vor dem dadurch begründeten Verlassenwerden stehen im Hintergrund. 

Hilfe und Entwicklung sind möglich

Die tiefsitzenden Muster im Leben eines Nice Guys sind oft nicht bewusst. Meist ist aber tief drinnen ein Unwohlsein oder eine Unzufriedenheit mit sich spürbar. Hilfe und Entwicklung zum authentischen Mannsein sind möglich. Dies umfasst folgende Schritte: (1) Bewusstwerden der eigenen verkorksten Rolle und beginnende Selbstreflektion, (2) spürbarer Leidensdruck und Aufbau von Änderungsmotivation, (3) Akzeptanz von Hilfe durch andere Männer oder einen männlichen Therapeuten, (4) innere Begegnung mit Bedürfnissen, Wünschen, Trauer, Wut und Potentialen, (5) neue Verhaltensweisen – am besten in einer Männer- oder Therapiegruppe – einüben und festigen. 

Der geläuterte Mr. Nice Guy, der auf dem Weg zum Mr. Real Man ist, wird viele neue Erfahrungen machen. Er wird Autonomie und Alleinsein schätzen. Auf die lange Sicht wird er intensive und bereichernde Beziehungen führen können. Der langjährig erfahrene amerikanische Männer- und Paartherapeut David Deida (2006) bezeichnet dies als den Weg des wahren Mannes. Ein Leitfaden zu einem tief authentischen Leben als Mann. Der Mann wird so zu einem guten Beschützer seiner Familie heranreifen, wenn er sich für dieses Lebensmodell aus tiefstem Herzen entscheidet. Das Wichtigste aber: Er wird sich ohne falschen Stolz, innerem Druckgefühl und Ängstlichkeit im Spiegel betrachten und akzeptieren können! 

Literatur: 

Deida, David (2006). Der Weg des wahren Mannes. Ein Leitfaden für Meisterschaft in Beziehungen, Beruf und Sexualität. Bielefeld: J. Kamphausen. 

Glover, Robert A. (2021; 5. Auflg.). Nie mehr Mr. Nice Guy. Wie Sie als Mann bekommen, was Sie wollen – im Leben, in der Liebe und beim Sex. München: riva.

Tags

Ängstlichkeit, Feminismus, Männer, Männertypen, Mannsein, Mr. Nice Guy, Mr. Real Man, Psychische Gesundheit, Rollenbilder, Rollenmodell


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