Für viele Frauen ist es ein Rätsel und oft auch ein Ärgernis, dass ihr Partner nach dem Sex teilnahmslos, desinteressiert und nahezu ohnmächtig neben ihnen liegt. Die Männer „übermannt“ nach dem Orgasmus meist eine Unlust auf neuerlichen Sex, Müdigkeit und bisweilen auch eine schlechte bis depressive Stimmung. Nicht selten schläft ein Mann nach vollzogener Ejakulation auch ein. Dabei ist dies biologisch wie psychologisch durchaus verstehbar, wie im Folgenden aufgezeigt wird, bringt aber im Beziehungskontext viel Verdruss und Missstimmung. Dabei muss dies gar nicht sein, wenn man die zugrundeliegenden Prozesse kennt und sich entsprechend darauf einstellt – Männer wie Frauen.
Sexuelle Erregung – Verlauf und Höhepunkt
Zunächst die wichtigsten Grundlagen der männlichen Sexualität. Bei Männern verläuft die sexuelle Erregung als linearer Prozess, der sich zunehmend beschleunigt und meist zum Höhepunkt, der Ejakulation, führt. Diese wird als Orgasmus – als intensiver Höhepunkt – erlebt. Die Zeit von der beginnenden Erektion (Versteifung des Penis) bis zu Ejakulation variiert stark. Bei der Masturbation sind es im Durchschnitt 3-5 Minuten, bei einem Koitus mit Partnerin durchschnittlich 6-8 Minuten. Jüngere Männer erreichen eine Erektion alleine durch sexuelle Phantasien, bekommen oft beim Aufwachen eine solche und erigieren natürlich auch durch manuelle oder orale Stimulation. Bei älteren Männern (zwischen 45 und 60 Jahren) ist zur Erektion meist eine manuelle oder orale Stimulation nötig.
Das Zeiterleben während sexueller Erregung verändert sich ohnehin stark, so dass die quantitativen Angaben weniger relevant sind als das qualitative Erleben. Im Vorfeld einer Ejakulation können viele prinzipiell vertiefenswerte Phänomene auftreten – Erektionsverlust, vorzeitiger, ausbleibender oder verzögerter Samenerguss. Auf diese wird in diesem Beitrag nicht eingegangen. Hier geht es ausschließlich um die Abläufe direkt nach einer Ejakulation (im Amerikanischen „post nut“).
Die sexuelle Erregung verläuft in vier Phasen: Der sexuelle Reaktionszyklus besteht aus den vier unterscheidbaren Phasen Erregung, Plateau, Orgasmus und Resolution – auch Refraktärphase genannt. Dabei beschreibt die Refraktärphase den Zeitraum direkt nach einem Orgasmus, in dem der Körper in seinen ursprünglichen unerregten Zustand zurückkehrt und darüber hinaus eine neuerliche Erektion physiologisch zunächst unmöglich ist. Bisweilen wird die Refraktärphase noch in eine «absolute Phase», bei welcher der Mann nicht einmal für die ausgefallensten sinnlichen Reize empfänglich ist, und in eine «relative Phase», bei der erotische Reize (vor allem visuell, aber auch akustisch und taktil) wieder einen leichten Effekt zu erzielen vermögen, eingeteilt.
Nach dem Orgasmus: Die postkoitale Ohnmacht
Männer erleben nach der Ejakulation in vielen Fällen eine tiefe Befindlichkeitsveränderung, die sich subjektiv wie ein Absturz anfühlen kann. Hormonell wird diese Veränderung mit einer starken Ausschüttung von Prolaktin in Verbindung gebracht, die direkt nach der Ejakulation beginnt. Gleichzeitig fällt der Testosteronspiegel deutlich ab. Die Funktion von Prolaktin beim Mann ist bislang nicht vollständig geklärt. Viele Experten vermuten, dass das Hormon für den Ermattungszustand nach dem Orgasmus verantwortlich ist. Prolaktin ist ansonsten ein typisches Stresshormon, wird also gerne bei Stresssituationen vermehrt ausgeschüttet. Auch in der Produktion von Muttermilch spielt es eine entscheidende Rolle, daher der Name.
Oft treten bei Männern in der postkoitalen Phase Lustlosigkeit, Müdigkeit und Benommenheit. Deshalb wird dieser Zustand von Betroffenen, aber auch den Partnerinnen, auch als postkoitale Ohnmacht bezeichnet. Etwa 45% aller Männer haben schon einmal eine postkoitale Stimmungsverschlechterung (Dysphorie) erlebt. In ca. 15% aller Fälle wird auch eine postkoitale depressive Verstimmung (Postkoitale Dysphorie PCD; umgangssprachlich „Post Sex Blues“) berichtet. 5% aller Männer erleben PCD so stark, dass es für sie ein ernsthaftes Problem darstellt. Der Post-Sex-Blues kann sich auf verschiedene Weisen äußern. Einige Betroffene weinen oder fühlen sich zumindest den Tränen nahe. Andere empfinden Melancholie, Depression, starke innere Anspannung, erhöhtes Schamgefühl, Selbstablehnung oder sogar Selbsthass. Einige Männer möchten nach ihrem Orgasmus nicht berührt werden oder wollen dann unbedingt alleine sein. Manche empfinden auch Genervtheit, tiefe Unzufriedenheit, Nervosität, Niedergeschlagenheit und innere Leere.
Etliche suchen nach dem Sex gezielt nach Ablenkung. Männer, die nach dem Orgasmus in eine tiefe Dysphorie verfallen, sollten auch ihre innersten Erwartungen und Hoffnungen an den Sexualakt reflektieren. Suchen sie dort eine Zuflucht oder Bestätigung, die sie im Alltagsleben nicht erfahren? Dann wäre der Moment nach dem Orgasmus wie ein Absturz aus einem allzu sehr idealisierten Traum.
Die mentalen Zustände von Männern nach einer orgiastischen Ejakulation variieren sehr stark. Von Euphorie, besonderer geistiger Klarheit und Allmachtgefühlen wird ebenso berichtet wie von Niedergeschlagenheit, Schuldgefühlen bis hin zu Einsamkeitsgefühlen. Es kommt neben dem postkoitalen hormonellen Zustand sehr auf die mentale-psychologische Verfassung und Verarbeitung an.
Physiologisch geschieht nach einer Ejakulation eine starke Entspannung der glatten Muskulatur im Bereich des Penis und der Prostata. Die Reizleitung zwischen den Zellen ist für einige Zeit deutlich herabgefahren, anfangs oft gar nicht mehr möglich. Dieses Phänomen wird Refraktärzeit genannt. Die elektrischen Ladungen in den Zellen müssen erst wieder neu aufgebaut werden. Wenn der Mann diesen Zustand als Schwäche empfindet, sind Niedergeschlagenheit und Dysphorie naheliegende Empfindungen. Wenn er den postkoitalen Zustand als wohltuende Entspannung und als ein Aufgehen in Raum und Zeit empfindet, können angenehme bis euphorische Gefühle aufkommen.
Nach dem Orgasmus: Post-Nut-Clarity
Manche Männer – die genaue Zahl ist nach wie vor unbekannt – berichten auch von Euphorie, besonders klarem Denken und erhöhter Achtsamkeit nach einer Ejakulation. Auch unerwartete Gedankenblitze („Ich muss noch den Mülleimer runterbringen“) können auftreten. Dies spricht für glücksartige Flow-Erlebnisse, bei denen sich die Ich-Grenzen stark auflockern. Das Phänomen wird „Post-Nut-Clarity“ (etwa: Post-Ejakulationsklarheit) genannt und ist erst seit etwa 2010 Gegenstand von Presse- und Forschungsberichten sowie Interviews mit Betroffenen.
Der US-amerikanische Sexualforscher Adam Safron von der Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore beschäftigt sich mit dem Phänomen. Beim Orgasmus findet eine starke Synchronisation der Systeme im Körper statt. Angetrieben durch die rhythmischen Bewegungen, die beim Geschlechtsverkehr und bei der Masturbation stattfinden, während sich der Orgasmus aufbaut, entwickelt sich der synchronisierte organismische Höhepunkt. Safron vergleicht den Zustand des Orgasmus mit einer Trance, aus der man danach erst wieder erwacht. Dann kommen verschiedenste Bewusstseins- und Erlebniszustände zum Tragen wie nach einem intensiven Rauscherlebnis.
Hormoneller Begleitkonvoi zum Orgasmus und danach – besondere Rolle von Prolaktin!?
Bei Männern automatisch entnommenen Blutproben im 2-Minuten-Abstand über insgesamt 40 Minuten vor und nach dem Orgasmus zeigten nach dem Orgasmus einen rapiden Abfall von Adrenalin und Noradrenalin und eine Zunahme von Oxytocin und Prolaktin (Krüger et al., 2003¹). Mögliche Kausalzusammenhänge mit der Refraktärphase sind bis heute noch weitgehend ungeklärt. Vor allem aber scheint ein starker Prolaktin-Anstieg mit postkoitaler Dysphorie zusammenzuhängen. Diskutiert werden Wirkungen auf verschiedene Regionen in Gehirn, Rückenmark und die Geschlechtsorgane.
Beim Mann äußert sich die Refraktärphase typischerweise als eine ausgeprägte Phase stark verminderter Erregbarkeit und sogenannter postkoitaler Müdigkeit. Die Erektion kann in dieser Zeit gehemmt oder ganz blockiert sein. Als generelle – jedoch im Einzelnen immer noch weitgehend unerforschte – Ursache gilt die abrupte hormonelle und neurochemische Veränderung unmittelbar nach dem Orgasmus. Hauptverantwortlich für die postkoitale Müdigkeit ist wohl das Hormon Prolaktin zu sein, welches kurz nach dem Orgasmus vermehrt ausgeschüttet wird. Dabei ruft das vermehrte Prolaktin nach dem Sexakt wohl auch das psychische Gefühl der Sättigung und Befriedigung hervor.
Durch eine negative Rückkoppelung wirkt es dabei gleichzeitig hemmend auf den Hypothalamus im Gehirn, sodass die Erregung schnell abflacht und neuerlicher Sex zunächst nicht möglich ist. Auch beeinflusst es peripher die Erektionsfähigkeit, indem es die Entspannung der glatten Muskulatur im Schwellkörper des Penis verhindert. Beide Mechanismen bewirken letztlich, dass eine erneute Erektion unmittelbar nach dem Samenerguss bei den meisten Männern nicht möglich ist. Es gibt Fallstudien von wenigen multiorgastischen Männern, welche innerhalb von Minuten weitere Erektionen und dann Orgasmen haben konnten. Bei diesen Probanden fand sich in der Tat kein Anstieg des Prolaktinwerts nach der Ejakulation.
Die Refraktärphase verstehen und annehmen
Bei der menschlichen Sexualität bezeichnet Refraktärphase (von dem Lateinischen refractarius = widerspenstig, halsstarrig) oder Erholungsphase den Zeitraum nach einem Orgasmus, in dem ein weiterer physiologisch nicht möglich ist. Die Dauer variiert stark innerhalb und zwischen Personen, ist von einer großen Vielzahl von Faktoren abhängig und deshalb aus methodischen Gründen statistisch nicht beschreibbar. Nach allgemeinen Berichten liegt sie zwischen wenigen Minuten und mehreren Stunden, in Einzelfällen Tagen.
Männer – wie auch Partnerinnen – sollten verstehen, dass die Refraktärphase ein natürlicher und biologisch notwendiger Prozess ist. Er ist von Dauer und Intensität sehr unterschiedlich und kann sich auch beim Einzelnen über die Lebensspanne deutlich verändern. Neben den hormonellen Steuerungsaspekten wird die Refraktärphase auch von psychologischen Motiven bedingt: Nach dem sexuellen Höhepunkt benötigen die allermeisten Männer eine mentale und emotionale Pause, um sich zu entspannen und die Erregung auf natürliche Weise abzubauen.
Das Gefühl der Befriedigung und einer starken Sättigung nach dem Orgasmus verringert die Lust auf eine sofortige Wiederholung der sexuellen Aktivität. Es ist also gar nicht zu erwarten, dass nach einer Ejakulation sofort eine neuerliche Erektion möglich ist. Es bedarf einiger Zeit, um Begehren und Verlangen neu zu entwickeln. Diese Zeitspanne kann von wenigen Minuten bis zu mehreren Stunden, in seltenen Fällen Tagen variieren. Mit zunehmendem Alter verlängert sich die Refraktärphase üblicherweise. Jüngere Männer haben in der Regel kürzere Refraktärphasen als ältere Männer. Aber auch Stress, mentale Verfassung, Entspannungsfähigkeit und körperliche Fitness haben einen Einfluss auf die Dauer der postkoitalen Müdigkeit und den Aufbau neuerlicher sexueller Lust und Erektion.
5 Tipps für Männer zum besseren Umgang mit einer langen Refraktärphase
(1) Sieh Deine Refraktärphase als etwas Wichtiges und Natürliches an!
Wenn Du direkt nach dem Orgasmus keine neuerliche Erektion bekommst, will Dein Organismus damit für Entspannung und Rekreation sorgen. Sex ist kein Leistungssport. Höre auf die Signale Deines Körpers und gib Dir Zeit! Wenn Du aber in der Refraktärphase in eine depressive Stimmung verfällst, ist dies auch ein psychologisches Problem. Dies kann am besten psychologisch gelöst werden – durch Selbstreflektion, Selbstfürsorge und Gespräche mit hilfreichen Anderen.
(2) Übe Techniken ein, um Deine Ejakulation hinauszuzögern!
Dann hast Du mehr und länger etwas von Deiner Lust und Erregung. Und Deine Partnerin auch. Gleichzeitig vermeidest Du den frühzeitigen Eintritt einer dysphorischen oder einfach nur erschöpften Befindlichkeit. Dies gelingt Dir, indem Du vor der Ejakulation (deutlich davor!) Tempo und Druck auf den Penisschaft verringerst. Auch mental zurückfahren, was sexuell Phantasien angeht. Dann wieder langsam steigern. Wiederhole diesen Kreislauf mehrfach!
(3) Entspanne Dich in der Refraktärphase!
Sei achtsam, was Du fühlst und genieße Deinen postorgiastischen Zustand. Wenn Dir negative Gedanken kommen oder Du Dich deprimiert fühlst, konzentriere Dich auf den Orgasmus, den Du gerade hattest, und genieße ihn nach! Du kannst Dich auch auf Deine Atmung im Hier und Jetzt konzentrieren und alle Gedanken, die Dich stören, wegatmen. Arbeite an Techniken zur Stressbewältigung, um den Einfluss von Stress und Angst auf deine sexuelle Funktionsfähigkeit zu minimieren!
(4) Vergiss die Partnerin nicht!
Wenn Du nach einer frühen oder unbeabsichtigt vorzeitigen Ejakulation müde und teilnahmslos wirst, vergiss Deine Partnerin nicht. Streichele sie und rede mit ihr. Auf Dauer kann so ein Ablauf Partnerschaftsprobleme erzeugen. Wenn die Stimmung entsprechend passt, sprich mit ihr über „Deine Refraktärphase“. Die meisten Frauen kennen diese Hintergründe nicht. Kläre sie auf, damit sie Dein schnelles sexuelles Desinteresse nach Deinem Orgasmus nicht fehlerhafterweise auf Dich bezieht. Das kann Dir eine Menge Stress ersparen.
(5) Verwöhne Deine Partnerin vor Deiner Ejakulation ausführlich!
Lasse sie nach Möglichkeit vor Dir zum Orgasmus kommen, nach Dir schaffst Du es nicht mehr, sie zu befriedigen! Und das würde die Stimmung sehr negativ trüben.
¹ T H C Krüger, P Haake, D Chereath, W Knapp, O E Janssen, M S Exton (2003). Specificity of the neuroendocrine response to orgasm during sexual arousal in men. J Endocrinol 2003 Apr;177(1):57-64. doi: 10.1677/joe.0.1770057.