Sucht bei Männern: Sucht ist die häufigste psychische Störung bei Männern, was den Eindruck nahelegt, dass es für sie eine besondere Affinität dafür gibt, so dass zusammenkommt, was biopsychosozial zusammengehört. Aber ist dies wirklich so, welche Risikofaktoren weisen Männer im Unterschied zu Frauen auf und wie sind die hohen Zahlen hinsichtlich Suchtentwicklung bei Männern zu reduzieren?
Diesen Fragen gehe ich in einem dreiteiligen Beitrag „Sucht bei Männern“ nach, der ein verstärktes Nachdenken über die allzu selbstverständlich gewordenen hohen Fallzahlen bei Männern in Gang setzen soll. Der erste Teil führt in die epidemiologischen Zahlen der Betroffenen ein.
Sucht bei Männern: Derzeit hat jeder sechste Mann in Deutschland ein Alkoholproblem
Besonders die Abhängigkeit von Alkohol, Nikotin und illegalisierten Drogen wie Cannabis, Heroin, Amphetamin und Kokain trifft Männer deutlich öfter als Frauen. Wie die „Deutsche Erwachsenen Gesundheitsstudie“ DEGS zeigte, hat mit 18.4% fast jeder sechste Mann im letzten Jahr ein relevantes Alkoholproblem (Missbrauch oder Abhängigkeit).
Gerke et al. fanden bereits 1997, dass bei 29% der Männer (Vergleichswert Frauen: 9%), die wegen einer somatischen Erkrankung in ein Allgemeinkrankenhaus eingewiesen wurden, eine alkoholassoziierte Erkrankung vorlag. Besonders oft wurden bei ihnen neben Verletzungen infolge von Unfällen oder Stürzen sowie Frakturen Delirium tremens, Krampfanfälle, Leberzirrhose und Polyneuropathien diagnostiziert. Bei den Todesursachen nehmen alkoholbezogene Ursachen bei den Männern einen Spitzenplatz ein. Alkoholmissbrauch und die diesbezüglichen Folgeerkrankungen liegen auf dem fünften Platz bei den Ursachen für vorzeitige Todesfälle.
Männer zeigen im Vergleich mit Frauen deutlich riskantere Umgangsformen mit Substanzen. Sie steigen zwar durchschnittlich im gleichen Alter (13.6 Jahre) in den ersten Konsum von Alkohol ein, entwickeln dann aber schnell einen durchschnittlich höheren und riskanteren Konsum. Der riskantere Konsum besteht in mehr Rausch- und Intoxikationssituationen („binge drinking“). Sie vertragen körperlich mehr Alkohol als Mädchen. Diese bessere Verträglichkeit des Alkohols ist in der Realität des Alltags jedoch ein Risikofaktor für höheren Konsum und mehr Suchtentwicklungen.
Männer aller Altersstufen trinken mehr Alkohol als Frauen
Die Drogenaffinitätsstudie 2020 der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) weist aus, dass im Jahr 2019 bei den 18- bis 25- Jährigen 43.9% der Männer im Unterschied zu 23.5% der Frauen im Monat mindestens viermal Rauschtrinken berichteten. Rauschtrinken („binge drinking“) ist dabei mit 5 oder mehr Gläsern (á 10g Alkohol) pro Trinkgelegenheit definiert. Dies entspricht etwa 1.2 Liter Bier oder 0.5 Liter Wein.
Im Alltag nehmen Männer fast doppelt so viel Alkohol zu sich wie Frauen. 16.2 g Alkohol tgl. stehen 8.5 g im täglichen Durchschnitt bei Frauen gegenüber. Dass Männer mehr Alkohol als Frauen trinken, gilt für alle Altersstufen. Der übermäßige Alkoholkonsum bei Männern beginnt in der frühen Jugend und dauert bis zum hohen Alter an. Einen problematischen Alkoholkonsum (klinisch relevant nach AUDIT) zeigten im Jahr 2015 ca. 20 Prozent der 18- bis 59-jährigen Befragten. Die erwachsenen Männer lagen dabei mit 29 Prozent deutlich über den Frauen mit 10.5 Prozent.
Deutsche Männer nehmen beim Alkoholkonsum internationale Spitzenplätze ein
Die 2018 vorgestellte Auswertung der Studie Global Burden of Disease befasst sich mit den Trinkgewohnheiten in 195 Ländern und den daraus resultierenden gesundheitlichen Problemen. Weltweit lassen sich etwa 6,8 Prozent aller Todesfälle bei Männern und 2,2 Prozent bei Frauen auf problematischen Alkoholkonsum zurückführen.
Im Jahr 2016 führte der schädliche Gebrauch von Alkohol nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation zu etwa 3 Millionen Todesfällen weltweit, davon mehr als drei Viertel Männer. Alkohol ist insofern weltweit in den meisten Ländern – Europa ist führend – allzu oft ein übermäßig wichtiger Begleiter im Leben von Männern. Deutschland liegt als Hochkonsumland für Alkohol dabei auf den oberen Rängen, was Konsumfolgen, Abhängigkeitsquoten und Todesfälle angeht.
Auch bei den Verhaltenssüchten sind die Männer am häufigsten betroffen
Aber auch im Bereich der Verhaltenssüchte sind Männer besonders vulnerabel. Bis zu 2% der männlichen Jugendlichen und Erwachsenen gelten als sex- und pornosüchtig, ca. 1% als glücksspielsüchtig und bis zu 3% als internet- und onlinesüchtig. Bei den Betroffenen dieser verschiedenen Verhaltenssüchte gibt es starke Überlappungen im Sinne von Komorbiditäten.
Dies heißt, dass viele der sexsüchtigen Männer auch als onlinesüchtig gelten, wenn sie ihre Sexsucht – wie dies heute meist der Fall ist – im Internet ausleben. Daher ist die Gesamtzahl der verhaltenssüchtigen Männer schwer zu bestimmen und wird hier vorsichtigerweise niedrig auf ca. 1.5 Mill. Männer geschätzt. Viele von ihnen weisen wiederum Konsumprobleme mit psychotropen Substanzen auf.
Männer und Sucht – die Kombination tritt viel zu häufig auf
Im Einzelnen ist von 2.5 Mill. Männern mit einem klinisch relevanten Alkoholproblem, 0.35 Mill. mit einem Drogenproblem (Cannabis, Opioide, Stimulantien) und bis zu 1.5 Mill. mit einem relevanten Verhaltenssuchtproblem auszugehen. Dies sind 4.35 Millionen Männer ab 16 Jahren, die an einem oder multiplen Suchtproblemen leiden. Hinzu kommen weitere ca. 3.5 Millionen Männer mit einer tabakbezogenen Abhängigkeit, von denen aber wiederum eine nicht bekannte Zahl an einer der genannten Suchtformen leiden. Bei insgesamt ca. 34 Mill. Männern in Deutschland im Alter von über 16 Jahren ist die – hier konservativ geschätzte – Zahl von 4.35 Mill. Suchtkranken sehr hoch. Somit wären etwa 12.8% bzw. jeder achte Mann von einer behandlungsbedürftigen Suchtstörung (Substanzsucht oder Verhaltenssucht) betroffen.
Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, warum Männer so oft von Suchtproblemen betroffen sind. Welches sind die wichtigsten Risikofaktoren für eine Suchtentwicklung bei Männern? Wie ist es verstehbar, dass jeder achte Mann an einer oder mehreren Suchtstörungen leidet, oft ohne es zu wissen oder wahrhaben zu wollen? Dies schädigt sie selbst, hinterlässt aber auch im sozialen Umfeld, besonders bei Partnerinnen und Kindern negative Spuren. Es geht dabei auch um physische, sexuelle oder psychische Gewalt unter Substanzeinfluss.
Im zweiten Teil des Beitrags werden die wichtigsten Gründe aufgelistet, die sich aus der Forschung ergeben, warum gerade Männer so oft Suchtstörungen entwickeln.