Seit einigen Jahren, besonders seit der sehr populären #metoo-Bewegung, ist das Narrativ von toxischer Männlichkeit zum Standardbild von Männern in der Öffentlichkeit geworden. Die dadurch popularisierte Stimmungsmache gegen Männer insgesamt wird immer mehr zum Geschäftsmodell von Werbespots, aber auch von pädagogischen Kursen für sogenannte feministische Jungenarbeit. Dort ist dann die Rede von „Jungenarbeit als Männlichkeitskritik“ oder „das patriarchale Machtgefälle als Thema in der Jungenarbeit“.
Dass diese Konzepte an den Bedürfnissen von Jungen vorbeigehen und im Endeffekt kontraproduktiv sind, ist schnell evident und wird im Folgenden näher erläutert. Die Basis für derartige Ansätze ist ein populärpädagogisches Geschäftsmodell, das sich mancherorts Beliebtheit erfreut und auch immer öfter mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, weil es vordergründig als fortschrittlich und geschlechtergerecht gilt. Stattdessen sind aber neben den schon vielfach etablierten Ansätzen der Mädchenarbeit immer stärker jungensensible, männerfreundliche Konzepte notwendig, die sowohl empathisch als auch emanzipatorisch sind. Solche Ansätze werden ebenfalls aufgezeigt.
Herkunft und Entwicklung des Begriffs „toxische Männlichkeit“
Der Begriff der toxischen Männlichkeit fand im Zuge der #metoo-Bewegung große Beachtung und Verbreitung, um auf den Missbrauch und die Unterwerfung von Frauen hinzuweisen und diese gleichzeitig zu beenden. Die Bewegung ging von der Film- und Medienbranche aus, fand aber schnell Zulauf aus anderen Bereichen, wie Politik und Universitäten. Letztlich verbreitete sich die Bewegung durch soziale Netzwerke in alle Länder der westlichen Welt.
Der Begriff „toxische Männlichkeit“ existiert jedoch schon viel länger und war schon in den 1980-er Jahren in Fachkreisen, besonders der mythopoetischen Männerbewegung, die sich auf die Idee der männlichen Archetypen nach C.G. Jung (siehe auch „Männliche Archetypen - mehr als Märchenfiguren“) bezieht, bekannt als eine Bezeichnung für ein Verhalten von Männern, das als schädlich für Frauen, die Gesellschaft oder Männer selbst gesehen wurde.
Er wurde anfangs überwiegend für Männer am Rande der Gesellschaft gebraucht, etwa in Gefängnissen, um deren aggressives und kriminelles Verhalten zu beschreiben und zu erklären. Als wesentlich für die Ausbildung eines solchen Verhaltens wurde eine fehlende oder gestörte Vater-Sohn-Beziehung gesehen. Die betroffenen Männer galten selbst als geschädigt. Aufgrund ihrer Schädigung, z.B durch erlittene Gewalt, Vernachlässigung oder die dauerhafte Entbehrung des Vaters, entwickelten sich selbst- und fremdschädigende Verhaltensweisen. Diese Schädigungstendenz wurde als psychisch toxisch angesehen.
Die frühe Männerbewegung und das Konzept der toxischen Männlichkeit
Der in den 1980er Jahren entstandene mythopoetische Ansatz war eine Säule der frühen damaligen Männerbewegung. Zum einen entwickelte sich eine oft Wild Men genannte Schule, für die Robert Bly mit seinem Buch „Eisenhans“ der führende Vertreter war. An die Stelle der Auseinandersetzung mit den Ideen der Frauenbewegung trat hier die Zuwendung zum Männerthema und die Wiederherstellung einer echten, ursprünglichen Männlichkeit, die man durch den gesellschaftlichen Wandel verloren oder beschädigt glaubte.
Die Wurzeln dieser Strömung liegen in der Romantik und in den späten Schriften C. G. Jungs zu den archaischen Formen von Männlichkeit sowie in der in den 1960-er Jahren entstandenen „New Age“-Bewegung. Als Männerbewegung im Geiste des „Eisenhans“ erfuhr sie erstmals große internationale Aufmerksamkeit. Diese Bewegung sah die Gefahren für Männer in ihrer Entfremdung von ihrem ursprünglichen Leben. Diese Entfremdung stellte den Nährboden für die Fehlentwicklung von Männern in Richtung Gewalt, aber auch Depression, dar.
Teile dieser Richtung bemängelten, dass Männlichkeit in der modernen Welt über Erfolg, Macht und Reichtum definiert sei. Auch würden Männer durch Kriegserfahrungen seelisch verstümmelt und somit traumatisiert. So schrieb der Männerautor Sam Keen in seinem Buch „Feuer im Bauch“ davon, dass Männer alle Kriegsversehrte seien. Er rekurrierte dabei auf die jahrtausendealte Tradition, Männer als Krieger und Soldaten einzusetzen und aufzuopfern. Aus diesen Erfahrungen entstand eine anhaltende Störung der Männerseele, die zur Selbstvergiftung („Intoxikation“) und in der Folge zur Tendenz, sich selbst und andere zu schädigen führt. Darin bestand in den frühen Denkmodellen das Substrat toxischer Männlichkeit.
Der fehlende Vater als Quelle der Probleme von Männern
In seinem Buch „Man Enough: Fathers, Sons, and the Search for Masculinity“ aus dem Jahr 1993 argumentierte der amerikanische Psychiater und Familientherapeut Frank Pittman (1935 – 2012), dass Jungen, die keine adäquate Erziehung durch ihren Vater erleben, unrealistische und inadäquate Männerbilder und in der Folge auch Vatermuster entwickeln. Sie entwickelten so das Bestreben, permanent ihre Männlichkeit bestätigt zu bekommen und seien sich selbst nie genug.
Die Denkschablone im Hintergrund des Ansatzes von Pittman ist einfach: Wie sollen Jungen Männlichkeit und Vaterschaft lernen, wenn sie keine männlichen Rollenmodelle haben und keine Nähe und Zuwendung, aber auch Grenzen von Männern, insbesondere Vätern, erfahren? Auch im Ansatz von Pitman sind es also das erlebte Defizit und die erlittenen Traumatisierungen und nicht eine feindselige Haltung gegenüber Frauen oder eine übertrieben patriarchale Machtstellung, die zur Toxizität im Verhalten von Männern führen.
Daraus entwickelte sich in der Männerbewegung der emanzipatorische Ansatz, dass Männer als Väter ihre Söhne durch Nähe und Vorbildsein in das Leben als Mann und in die richtige Männlichkeit einführen sollten. Heutzutage sind Männer zunehmend engagierte und verlässliche Väter und für ihre Kinder, besonders Jungen, wertvolle Vorbilder (siehe auch „Männer als Väter“).
Schäm Dich, weil Du ein Mann bist!
Der englische Männerpsychologe und Autor John Barry weist zu Recht darauf hin, dass der Begriff der toxischen Männlichkeit keinen fruchtbaren Nutzen mit sich bringt. Er bezeichnet – anders etwa als männliche Depression – keine Diagnose und hat daher auch keinen klinischen Nutzen, um Jungen und Männern konkret zu helfen. Der einzige Zweck des Begriffs besteht offenbar in gruppenbezogener Diskriminierung. Männer sollen sich ihrer selbst, ihres Geschlechts und ihrer Identität schämen.
Diese von immer mehr gesellschaftlichen Instanzen vermittelte Scham soll Männer mit einem dauerhaft negativen Lebensgefühl ausstatten, so dass sie Ungerechtigkeiten nicht wahrnehmen und sich freiwillig selbst bezichtigen und unterordnen. Sie erkennen dadurch Benachteiligungssymptome, wie sie z.B. im Bildungs- und Medienbereich bereits deutlich vorhanden sind, nicht mehr und leisten in der Folge auch keinen Widerstand dagegen.
Durch das negative Labeling als toxisch entsteht jedoch auch Abwehr, Distanzierung und sogar die Gefahr selbsterfüllender Prophezeiungen, dass sich nämlich Jungen und Männer, die sich ausgeschlossen und abgewertet fühlen, beginnen, sich wie Aussätzige und Ausgestoßene zu verhalten. Diese Gefahren können durch Verzicht auf den stigmatisierenden Ansatz der toxischen Männlichkeit abgewendet und verhindert werden.
Der Gebrauch des Begriffs toxische Männlichkeit ist in sich selbst toxisch
Es wurde aufgezeigt, dass der Begriff „toxische Männlichkeit“ in sich weder erklärend, heilsam, zielführend noch evidenzbasiert ist. Er wird dennoch in den letzten Jahren immer häufiger verwendet. Dies hat bevorzugt ideologische und machtsoziologische Gründe. Wer die Debatte beherrscht und die öffentliche Meinung bestimmt, erscheint auch automatisch im Recht zu sein. Und toxisch sind bei Intergruppenkonflikten natürlich stets die anderen. Im Zeitalter allumfassender feministischer, antrassistischer und antikolonialistischer – kurz übermäßig identitätspolitisch geprägter - Diskurse und Narrative sind dies vor allem ältere, weiße Männer. Sozialpsychologisch betrachtet wird damit eines von Tausenden vorhandenen Stereotypen („Mann“) mit gezielt negativ bewerteten Attributen („alt“, „weiß“, „sexistisch“) aufgeladen und aversiv ideologisiert.
Trotz seiner häufigen Verwendung in den letzten Jahren taucht der Begriff der toxischen Männlichkeit stets nur anekdotisch in Bezug auf Einzelfälle für das etablierte Stereotyp auf. Wenn er gruppenbezogen benutzt wird, geschieht dies unzulässigerweise generalisierend und ohne empirischen Beweis, dass alle Gruppenmitglieder die negativen Kriterien erfüllen. Wie sollten sie auch? Allein daran zeigt sich die Banalität des Begriffs. Folglicherweise verbieten sich dann Diskurse über Ausnahmen vom Stereotyp im öffentlichen Diskurs.
Es gibt keine andere gesellschaftliche Gruppe (Frauen, Ältere, Migranten, LBBTIQ, POC), die als toxisch bezeichnet würden. Dies würde zu einem medialen Aufschrei und einem konzertierten Shitstorm in den sozialen Medien führen. Dieser Vergleich zeigt deutlich, wie unsensibel bis emotional gewalttätig Gesellschaft inzwischen mit Männern umgeht. Im Grunde ist dieser respektlose Umgang mit den Männern selbst toxisch. Aber man sollte generell auf diesen Begriff verzichten und auf die latente mangelnde Empathie und Respektlosigkeit hinweisen.
Das verengte Männerbild hinter der feministischen Jungenarbeit
Männer sind toxisch, schlagen, misshandeln, sind vor Kritik immun und zur Veränderung unfähig, beherrschen und misshandeln Frauen und profitieren von ihren patriarchalen Privilegien. Dieses feindselige und zugleich unrealistische Bild von Männern, um die eine oder andere Variante modifiziert, ist das Denkmodell, auf das sich Medien und viele Schulen des Feminismus, aber auch immer mehr Pädagogen, Gleichstellungsbeauftragte und Journalistinnen heutzutage bewusst oder unbewusst beziehen.
Es schadet jedoch allen – Jungen, Männern, Frauen und der Gesellschaft insgesamt -, weil es Männer einseitig und ohne empirische Grundlage stigmatisiert. Für manche Pädagogen, die dann auf dieser populistischen Basis Kurse für feministische Jungenarbeit anbieten, ist es auch ein Geschäftsmodell. Diese im Kern irreführende und gefährliche Ideologie kann heutzutage sogar existenzsichernd sein.
Dabei ist die Realität der meisten Jungen und Männer ohnehin eine ganz andere. Die große Mehrheit der Männer lebt und handelt sozial verträglich und beschützt Kinder und Frauen. Die Denk- und Praxismodelle zu Männlichkeit müssen realitäts- und bedürfnisnah und damit anders sein, als selbst berufene pädagogische Experten für feministische Jungenarbeit in ihren rigiden Ideologien glauben lassen wollen. Für die Effizienz oder Nützlichkeit dieser feministischen Jungenarbeit liegen keinerlei Evidenzen vor. Im Gegenteil gibt es Hinweise für deren Schädlichkeit. Traditionelle Jungenarbeit betonte dagegen die für Jungen wichtigen Bereiche Bewegung, Sport, Wettbewerb und hatte dadurch am Ende auch gute Zugänge zu Gefühlen und Geschlechtsstereotypen.
Darüber hinaus sollte ohnehin von Männlichkeiten gesprochen werden, da innerhalb der Männer die Unterschiede und auch erstrebenswerten Entwicklungswege so heterogen sind, dass ein Mittelwert aller Männlichkeiten bestenfalls alles über einen Kamm schert und von der Aussagekraft her wenig nützlich ist. Vielmehr sollten verschiedene Untergruppen und Entwicklungspotentiale betrachtet werden.
Kommt akademisch daher – ist aber populistischer Unsinn
Unlängst wurde an prominenter Stelle in Köln das Modell der feministischen Jungenarbeit beworben. Die folgenden Zeilen stammen aus der Selbstbeschreibung des Anbieters und machen deutlich, wie hier gearbeitet wird: Der Pädagoge und Dozent „zeigt auf, wie sich toxische Männlichkeit individuell und strukturell auswirkt. Doch was bedeutet eigentlich „toxische Männlichkeit?“. Toxische Männlichkeit beschreibt sozialisationsbedingte schädliche Verhaltensweisen, Einstellungen und Präsentationen von Jungen und von Männern, mit denen sie vor allem Frauen, aber auch sich selbst massiv schaden. Dazu gehört beispielsweise, dass sie sich über Leistung definieren, Grenzen ignorieren, Frauen abwerten oder Gewalt ausüben.
Prominente Beachtung findet das Phänomen insbesondere durch die #metoo-Bewegung oder auch durch Greta Thunberg (Fridays for future), die aufgrund ihres Geschlechts, ihres Alters, ihres Aussehens, ihrer Zöpfe oder ihres Asperger-Syndroms hauptsächlich von Männern angefeindet wird. Begriffe wie #Manspreading, #Mansplaining, #Whataboutism, #Hepeating, #Marginalisierung halten zunehmend Einzug in gesellschaftliche Debatten.
Die Erkenntnis wächst, dass viele gesellschaftliche Phänomene damit in Zusammenhang gebracht werden müssen: Pornografie, Prostitution, Amokläufe, religiös, rassistisch und antisemitisch motivierte Gewalt, Massentierhaltung oder Klimazerstörung. Der Dozent schildert dementsprechend toxische Männlichkeit als ein gesamtgesellschaftliches Problem, das schon bei alltäglichem Verhalten beginne.
Es wird beim reflektierten Lesen schnell deutlich, dass für eine Unzahl negativer Alltagsphänomene die toxische Männlichkeit eindimensional verantwortlich gemacht wird. Dies ist eine ausschließlich beliebige und willkürliche Erklärung für das Verhalten einzelner Männer (und sicherlich auch Frauen), ohne dass ein belastbares Erklärungs- und Zuordnungsmodell auch nur in Sicht wäre. Insofern muss dieses Vorgehen als grob stigmatisierend, populistisch und ohne irgendwelche Evidenzen zurückgewiesen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Anbieter von Kursen für Jungenarbeit in Jugendämtern und Schulen nicht der vordergründigen Schlichtheit des Ansatzes erliegen.
Schein-Hilfen für Jungen durch feministische Jungenarbeit
Es ist eher ein Problem als eine Lösung, dass Jungen in unserer heutigen Gesellschaft überwiegend oder ausschließlich von Frauen erzogen und in Kita und Schule betreut werden. Daher bedarf es mehr Männer im Bildungsbereich, die dann wiederum nicht feministisch agieren sollten, da sich dann die ewig gleichen Konzepte perpetuieren: Frauen sind Opfer, Männer sind Täter.
Das Symptom der Vaterlosigkeit hat sich in vielen Studien als Risikofaktor für Fehlentwicklungen bei Jungen gezeigt. Dabei muss es nicht der biologische Vater sein, der hier als kontinuierliche, empathische, aber auch starke Bezugsperson in Frage kommt. Es ist keine konstruktive Lösung, den Jungen von vorherein durch feministische Konzepte oder den stigmatisierenden Ansatz der toxischen Männlichkeit zu vermitteln, dass etwas mit ihnen nicht stimmt.
Der Fehler der feministischen Jungenarbeit, in welcher Form auch immer sie daherkommt, ist, dass sie Jungen und Männern keine ihnen eigene Identität zugesteht, und sie nach dem Bild und den Vorstellungen des Feminismus formen will. Dabei können Jungen von selbstbewussten, ausgeglichenen und geschlechtsreflektierten Männern viel lernen, ohne dass diese sich auf defizitäre oder feministische Konzepte beziehen: Kraft, Stärke, Sensibilität, Empathie, Partnerschaftlichkeit, Lust auf Freude und Erfolg, gesundes Konkurrieren, Freundschaft, Schutz geben, Umgang mit Gefühlen, Resilienz, Neugierde, Entdeckerlust, Risikofreude, Gelassenheit, uvm.
Der Ansatz einer feministischen Jungenarbeit kann nicht gelingen und führt auch nicht zu ausgeglichenen, selbstbewussten, sondern zu fremdbestimmten, unzufriedenen Männern. Es entwickelt sich hintergründig die Gefahr der selbsterfüllenden Prophezeiung: Männer sind Täter, weil sie es sein müssen! Dies ist die geheime Agenda der feministischen Jungenarbeit.
Geschäftsmodell feministische Jungenarbeit
Dass Jungen automatisch Entwicklungsrisiken in sich tragen und spätestens in der Jugend mit den Konzepten der feministischen Bewegung in Kontakt gebracht werden müssen, hat sich bei vielen jüngeren Pädagoginnen und Pädagogen als Standarddenkmodell der Jungenarbeit etabliert. Für die Nützlichkeit dieses Vorgehens liegen keinerlei Evidenzen vor.
Dass es inzwischen bundesweit immer mehr Ansätze für feministische Jungen- und Männerarbeit gibt, liegt nicht daran, dass diese vermehrt von Jungen oder ihren Eltern nachgefragt werden, sondern dass sie von Seiten der öffentlichen Träger bevorzugt gefördert werden. Sie stellen immer mehr das geförderte und propagierte Standardmodell der Jungen- und Männerarbeit dar. Dieser in eine einseitige Richtung zielende Hintergrund ist gefährlich und riskant zugleich, da er den Jungen und Männern im Grunde das Recht auf Selbstbestimmung und eigene Identitätsentwicklung abspricht und damit auch weitgehend nimmt. Es gibt darüber hinaus keinerlei belastbare Daten, dass die feministische Erziehung von Jungen zu positiven Ergebnissen bei den Heranwachsenden führt. Aus Überlegungen psychologischer Plausibilität heraus ist eher das Gegenteil anzunehmen.
Feminismuskritische Haltungen gelten hierzulande automatisch als misogyn
Im Regelfall bekommen Initiativen, die feminismuskritisch sind, in Deutschland keine öffentliche Förderung. Dies ist offiziell Politik des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Dabei sollte es in einer demokratischen Gesellschaft möglich sein, politische und ideologische Konzepte zu kritisieren. Und Feminismus, der längst nicht mehr als homogenes Konzept vorliegt, ist eine solche Ideologie. Manche Ausprägungen sind durchaus humanistisch, andere radikal und männerfeindlich.
Es geht bei der Kritik an feministischen Konzepten wohlgemerkt nicht um Misogynie (Frauenfeindlichkeit), sondern um die Frage, wie sich solche Konzepte auf die Entwicklung von Jungen auswirken. Ansätze, die sich primär der psychisch gesunden Entwicklung von Jungen und Männern verschrieben haben, die dann aber keine Förderung erhalten, alleine weil sie nicht feminismusfreundlich genug sind, gibt es immer wieder in Deutschland. Erst unlängst wurde dem Forum Soziale Inklusion, das sich für Gleichstellung der Geschlechter engagiert, eine Förderung strittig gemacht, weil sie nicht stets herrschenden profeministischen Linie entsprechen. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass das Referat, dass sich um Jungenarbeit (eines für Männerarbeit gibt es gar nicht) im BMFSFJ kümmert, von einer Frau als Expertin geleitet wird. Es ist also klar festzustellen: Feminismuskritik ist nicht gleichbedeutend mit Misogynie!
Die Ideologie der toxischen Männlichkeit ist realitätsfern und kontraproduktiv
Die Idee, Männer als toxisch zu etikettieren, ist sowohl empirisch falsch als auch kontraproduktiv, da es die psychisch gesunde Entwicklung von Jungen behindert und gefährdet. Keine Personengruppe lässt sich erst negativ etikettieren, um sich anschließend bekehren zu lassen. Dies ist im Kern ein kolonialistisches Vorgehen, was zu Recht in anderen Kontexten heutzutage breit abgelehnt und bekämpft wird. Dass es im Bereich der Jungen- und Männerarbeit auf Akzeptanz und Beliebtheit stößt, sollte Anlass für kritisches Hinterfragen der offenen und impliziten Denkmodelle dabei sein.
Die Gefährlichkeit des toxischen Denkmodells ergibt sich daraus, dass Jungen sich unter diesen Vorgaben als defizitär und minderwertig erleben. Ganz abgesehen von den Gefahren selbsterfüllender Prophezeiungen. Der englische Männerpsychologe und –forscher John A. Barry hat wiederholt gezeigt, dass sich viele Jungen und Männer vor der Idee, sie seien alleine aufgrund der Tatsache, dass sie männlichen Geschlechts seien, problematisch oder gar gefährlich („toxisch“) verschließen. Eine solche Reaktion scheint mir allzu psychisch gesund und plausibel zu sein. Die Kriterien eines toxischen Verhaltens treffen ohnehin nur auf eine kleine Minderheit von Jungen und Männern zu. Sie sollten also nicht vorschnell generalisiert werden. Die Empirie zeigt nämlich, dass 3-5% aller Jungen und Männer ein durchgängig antisoziales und damit für Interaktionen riskantes Profil aufweisen.
Keine „Erziehungskurse“ im Geiste der toxischen Männlichkeit!
Insoweit es das Ziel von Jungenarbeit ist, Jungen in ihrer Entwicklung zu Selbstsicherheit, Stärke, sozialer Kompetenz und Empathie zu unterstützen, ist die Förderung von Jungen in Familie, Bildungswesen und Gesellschaft nur zu begrüßen. Dies kann auch über die Reflektion der eigenen Rolle, der gelernten Werte und Alltagsautomatismen im Umgang mit anderen Jungen und mit Mädchen geschehen. Jungen sollten jedoch nicht, auf feministische Konzepte und Sichtweisen verpflichtet werden. Dies ist zur Entwicklung eigenständiger, souveräner Identität kontraproduktiv.
Schon länger werden jedoch feministische Konzepte auf die Arbeit mit Jungen übertragen. Neuerdings wird ein Buch mit dem Titel „Toxische Männlichkeit – erkennen, reflektieren, verändern“ vermarktet, in dem der Begriff wie folgt definiert ist: „Toxische Männlichkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem: aufgrund ihrer Sozialisation entwickeln Männer Denk- und Verhaltensmuster, mit denen sie Frauen, weiteren marginalisierten Menschen sowie sich selbst enorm schaden. Während patriarchale Strukturen Männern Macht und Privilegien verschaffen, verwehren Sie Frauen diese gleichzeitig“. Diese Definition und das Geschäftsmodell im Hintergrund, auf dessen Basis dann feministische Kurse zur Jungenarbeit angeboten werden, machen die Fragilität und Gefährlichkeit des Ansatzes selbst deutlich.
Jungenspezifische und humanistische Rollenbilder statt feministischer Jungenarbeit
Die Idee, Jungen zu Männern über feministische Jungenarbeit zu machen, ist in ihrer Absurdität nicht zu überbieten. Konzepte, die ein negatives, oft hasserfülltes Männerbild verbreiten, können für Jungen in ihrer Entwicklung nicht hilfreich sein. Jungen und Männer müssen ihren eigenen Weg ins Leben und zu ihrer Identität finden (siehe auch „Grundsätzliches zum Mann“).
Dafür sind Klärung von Rollenbildern, gesellschaftlichen Zwängen, Benachteiligung genauso wie Bevorteilungen für Jungen hilfreich. Jungenspezifische und humanistische Rollenbilder sollten die Leitbilder sein. Männliche Jugendliche sollten sich ausgewogen mit Fragen des Feminismus auseinandersetzen, auch kritische Positionen äußern dürfen und dabei Vor- und Nachteile des Ansatzes kennenlernen und reflektieren. Jungenarbeit sollte ressourcenorientiert und empathisch sein. Defizite von Jungen und Männern – etwa im Bereich der Emotions- und Impulskontrolle – können mit psychologischen Konzepten erfolgreich angegangen werden.
In der Denkweise der feministischen Jungenarbeit werden Männer oft pauschal stigmatisiert und sind nach der impliziten Denkweise nicht in der Lage, ein verantwortliches, sozial integriertes Leben zu führen und Frauen fair und respektvoll zu behandeln. Es geht darum, Erscheinungsformen von umgekehrter Diskriminierung in ihrer Dysfunktionalität aufzuzeigen und nicht zuzulassen. Eine Jungenarbeit vor dem Hintergrund des Ansatzes der toxischen Männlichkeit ist pure Ideologie und in den meisten Fällen meilenweit von der Realität der Gesellschaft entfernt.
Wie John A. Barry, bekannter englischer Männerpsychologe, auf der Basis empirischer Daten ausführt, ist die große Mehrheit der Männer gewaltfrei, beschützt und behütet Frauen und Kinder und zeigt ein insgesamt verantwortliches Verhalten. Nicht umsonst waren 71% der Überlebenden des Titanic-Untergangs Frauen und Kinder und nur 29% Männer. Männer zeigen oft Opferbereitschaft bis hin zur Selbstverleugnung und Selbstaufgabe.
Präventive Jungenarbeit – eine gute Idee, aber sie muss auch gut umgesetzt werden!
Der Ansatz präventiver Jungenarbeit in der Pädagogik ist grundsätzlich zu begrüßen. Sie sollte jedoch auf der Basis eines realistischen Jungen- und Männerbildes stattfinden. Die Pädagogik sollte mit einem realistischen Jungen- und Männerbild und nicht mit ideologisch rigiden Zerrbildern von Männlichkeit arbeiten. Jungen und Männer sind durchgängig weder Täter noch Schläger, genauso wie Frauen nicht generell Opfer oder Engel sind. Dies sollte die Basis aller Betrachtungen zur geschlechtersensiblen Erziehung sein.
Psychisch kranke, auffällige und dissoziale Männer und Frauen sollten Behandlung, Hilfen, aber auch Grenzen und - dort wo es um strafrechtlich relevante Delikte geht - auch entsprechende Konsequenzen erfahren. Der Ausgangspunkt pädagogischer Jungenarbeit kann nur ein humanistischer, emanzipatorischer, personenzentrierter Ansatz sein: Jungen können dann zur Entwicklung ihrer Potentiale und Fähigkeiten, zur Förderung ihrer Gesundheit und ihrer sozialen und emotionalen Kompetenzen begleitet werden. Und die Männer, die ihnen dabei helfen, sollten glaubwürdige Väter und Pädagogen sein.
Es gibt längst jungensensible Alternativen für die Pädagogik
Da der Begriff der toxischen Männlichkeit diskriminierend und vollkommen unempathisch ist, sollte er auch keine Verwendung in pädagogischen Kontexten mit Jungen und Mädchen finden. Sensibilität für Jungen und Männer ist genauso wichtig wie für Mädchen und Frauen. Alleine schon aus diesem Grund ist es unhaltbar, von toxischer Männlichkeit zu sprechen und auf der Basis solch inspirierter feministischer Konzepte mit Jungen zu arbeiten.
Das Konzept muss als kontraproduktiv angesehen werden, was die Entwicklung der psychischen Gesundheit von Jungen und das Verhältnis der Geschlechter angeht. Hinzu kommt, dass das dahinter stehende Konzept nicht nur diskriminierend – und damit unethisch – ist, sondern dass es auch wissenschaftlich unzulässig ist, aus dem Problemverhalten einiger weniger Betroffener auf die Gesamtheit zu schließen. Es kann daher nur geschlussfolgert werden, dass der Ansatz derartiger pädagogischer Kurse im Bereich feministischer Jungenarbeit mindestens ineffektiv und oft auch kontraproduktiv ist. Es handelt sich um ein Geschäftsmodell ohne wissenschaftliche und ethisch akzeptable Grundlage.
Vielmehr muss die pädagogische Arbeit mit Jungen ressourcen- und personenorientiert auf der Basis eines empirisch fundierten und evidenzbasierten entwicklungspsychologischen Modells stattfinden. Beispiele dafür finden sich bei den bekannten amerikanischen Psychologieprofessoren Philip Zimbardo und Warren Farrel. Beide Ansätze im Kontext der sogenannten Boy Crisis sind in Deutschland noch wenig bekannt. Sie liefern die Basis einer entwicklungspsychologisch fundierten, ideologiefreien Jungenarbeit.
Fazit
Die Idee einer toxischen Männlichkeit ist abzulehnen. Dieses Attribut ist genauso stigmatisierend wie andere Bezeichnungen bzw. Stereotypen, wobei im Fall der toxischen Männlichkeit von einer extrem kleinen Minderheit auf die Gesamtheit geschlossen wird. Üblicherweise weisen Stereotype – wie „Manager“, „Emanze“, „Raser“ usw. – sogar eine breitere Datenbasis auf. Aber genauso wie Angehörige von Minderheiten heutzutage nicht mit stigmatisierenden Etiketten versehen werden sollen und wollen, sollte es auch im Fall von Männern sein. Aus diesem Grund sind auch die aus diesem Konzept abgeleiteten Ansätze der feministischen Jungenarbeit abzulehnen.
Darüber hinaus sollten Jungen nicht mit negativen Bildern und Vorstellungen zu Männlichkeit in eine innere Haltung der Selbstinkongruenz (des Nicht-In-Ordnung-Seins) und eines Schamgefühls für ihr Geschlecht gebracht werden. Dies ist die verborgene Agenda mancher feministischer Ansätze. Letzten Endes dient ein solches Vorgehen aber nur der jeweils dominierenden Gruppe, ist nicht emanzipatorisch und schon gar nicht humanistisch zu verantworten. Jungen und Männer sollten nicht dahin gebracht werden, sich selbst wegen ihres Geschlechtes dysphorisch zu fühlen, sich selbst zu bezichtigen, um Erleichterung zu erreichen, oder sich dauerhaft schuldig zu fühlen. Der hintergründige Mechanismus ist der Gleiche wie bei anderen identitätspolitischen Agitationen, dass einzelne Menschen wegen einer vermeintlichen Gruppenzugehörigkeitsschuld in eine inferiore Position gebracht werden sollen. Klassischer Rassismus und Sexismus – nur andersrum.
Jungen sollten sich zu selbstbewussten, starken und empathischen Männern entwickeln. Da wo Gesellschaft dies im Sinne von Jungenarbeit unterstützen will oder muss, sollten die Fachkräfte dies auf der Basis humanistischer, nicht diskriminierender Konzepte tun.
Tipp: Interessanter Beitrag zum Thema „Stimmung machen gegen Männer als Geschäftsmodell“ auf Tichys Einblick (Stand: 25. Mai 2021).