UA-176845053-2 Die Corona-Dauerkrise bewältigen mit Resilienz im Alltag

Dezember 2

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Die Corona-Dauerkrise bewältigen mit Resilienz im Alltag – Gerade für Männer eine echte Herausforderung

Wann ist die Pandemie endlich vorbei? Ich halte das nicht mehr aus“, sagte letztens ein Psychotherapie-Patient zu Beginn einer Therapiesitzung zu mir. Hier das Hintergrundwissen zur Bewältigung der Dauerkrise.

Immer mehr Menschen berichten, dass Kraft und Hoffnung in der pandemischen Dauerkrise bei ihnen in Bezug schwinden. Gerade für Männer, die sich in solchen Situationen oft zurückziehen und vereinsamen, stellt die nicht enden wollende Pandemie eine starke Herausforderung dar. Und gerade jetzt im Winter 2021 steigen die Infektionszahlen in unbekannte Höhen. Wie können Menschen mit dieser Situation umgehen und dabei ihre psychische Gesundheit bewahren? Für Kinder und Jugendliche erscheint die Lage besonders schwierig, da sie noch nicht so viel Gelegenheit hatten, in Stresssituationen Bewältigungserfahrungen zu sammeln. Doch gibt es Möglichkeiten, auch mit Dauerstress umzugehen und solche Phasen zu überwinden. Die Fähigkeit zur Bewältigung von Dauerstress wird als Resilienz, die Fähigkeit zur psychischen Stressresistenz bezeichnet. Dort, wo es Menschen nicht alleine schaffen, sollten sie die nötige Unterstützung zur Resilienz durch andere (Freunde, Verwandte, aber auch Fachkräfte) bekommen.

Der Dauerkrise mit mehr Resilienz begegnen

Schon lange ist bekannt, dass manche Menschen Krisen- und Notsituationen gut widerstehen können, dabei gesund bleiben oder sogar an Kompetenz und Ressourcen wachsen, während andere daran zerbrechen, depressiv werden oder sich mit Alkohol und Drogen betäuben. Oft konnten Krisen und Notzeiten nur überstanden werden, wenn die Menschen noch „eine Schippe“ drauflegten, an Widerstandswillen, Energie, Überlebenswillen. Und wenn Krisen länger andauern, werden sie zum Dauerstress mit umfassenden negativen Auswirkungen auf Körper und Psyche. All dies hat natürlich viel mit der Psychologie des Menschen zu tun, den intrapsychischen, organismischen Abläufen zu tun.  Die nötige Überwindung von Langzeitkrisen gelingt nur als koordinierte Anstrengung von Geist, Seele und Körper. Natürlich spielt vielfach dabei auch die spirituelle Energie – das Sinnfinden im Leben in extremen Zeiten, worin auch immer dieser besteht – eine gewichtige und entscheidende Rolle.  In der Psychologie wird diese Fähigkeit im Umgang mit Dauerstress als Resilienz bezeichnet und bedeutet psychische Widerstandsfähigkeit in Krisen- und Stresssituationen. Gerade jetzt, wo wir in den zweiten Corona-Winter (2021/22) kommen und bei dem Entstehen immer neuer Virusvarianten ein Ende nicht abzusehen ist, spielen resiliente Fähigkeiten, deren Bewahrung und Ausbau eine besonders wichtige Rolle.

In Krisen hilft die Erfahrung des Überlebens und Wachsens trotz Stress

Bei der biologischen Evolution waren Flexibilität und Anpassungsfähigkeit immer entscheidend zum Überleben der Arten. Menschen können unter widrigen Lebensumständen über sich selbst hinauswachsen. Alle Lebewesen müssen sich verändernden Umweltbedingungen anpassen lernen. Und manchmal muss das ganz schnell gehen, wie derzeit gerade in der Corona-Krise, da eine solche Pandemie in unseren Breiten schon lange nicht mehr aufgetreten ist. Die Krise aktiviert in vielen Menschen ungeahnte Kräfte und Energien und erhält ihre psychische Gesundheit oder stärkt sie sogar noch. Andere verzweifeln oder zerbrechen auch daran.  Manche flüchten sich in vermeintliche Wahrheiten, die bei einigermaßen vernünftiger Betrachtung doch nur Irrlehren und Selbstbetrug sind. Viele Menschen entwickeln in solchen Krisen, seien sie gesellschaftlich, kulturell oder familiär, bislang ungeahnte Fähigkeiten und Lösungen.

Die Stressforschung hat geholfen, den Umgang mit Krisen besser zu verstehen

Wenn starker psychischer Stress auf Menschen einwirkt, aktiviert dies das biologisch schon alte System zur Reaktion auf Stress, das Stressachsensystem. Der Mediziner Hans Selye (1907-1982) konzipierte 1936 als Modell der menschlichen Reaktion auf chronische Belastungen das „Allgemeine Anpassungssyndrom“. Dies bereitet auf Angriff oder Flucht vor, bringt den Organismus also blitzartig in eine optimierte Verfassung zur Stressbewältigung. Diese Aktivierung zu Angriff oder Flucht, zieht eine ganze Reihe biologischer, psychischer und sozialer Konsequenzen nach sich, vor allem wenn der Stress über längere Zeit vorherrscht oder gar chronisch besteht. Dann verliert das System seinen Zweck zur akuten Bewältigung und die Effekte verkehren sich sogar ins Gegenteil. Die Reaktionen auf solche hoch stresshaften Situationen sind interindividuell sehr unterschiedlich und spiegeln die ganze Bandbreite menschlicher Verhaltensmöglichkeiten wieder. Insofern war schon immer klar, dass nur bestimmte Individuen auf Krisen- und Notsituationen gut angepasst reagieren, wobei selbst die Frage, was eine gute Anpassung darstellt je nach Situation und Person variieren kann. Andere Menschen  entwickeln in Krisen psychische Probleme, wie Ängste und Depressionen, werden suizidal oder beginnen sich  mit Suchtmitteln zu betäuben. Nach Epochen starken Stresses oder gar massenhafter Traumatisierung erfolgt oft eine Rückbesinnung und Analyse der Kräfte, die zum Überleben geholfen haben.

Berechtigtes Interesse an der psychischen Widerstandskraft von Menschen

Genau diese Frage, warum Menschen auf Krisen und Stress so unterschiedlich reagieren, haben verschiedene psychologische Forscher im 20. Jahrhundert begonnen systematisch zu erforschen.  Dieses Interesse ist nach den Grausamkeiten und Extremtraumatisierungen der Nazi-Zeit und dem 2. Weltkrieg stark angewachsen. Es ging darum zu verstehen, wie Menschen besonders traumatisierende Lebensereignisse und Lebenslagen psychisch gesund überstehen können. 

Besonders die Arbeiten von Aron Antonovsky und Emmy Werner sind wichtig, um das Wesen der menschlichen Anpassung in der Krise – vom kurzen Ereignis bis zur chronischen Exposition gegenüber Gewalt – zu verstehen. Während Antonovsky aufgrund seiner zahlreichen Tiefeninterviews mit ehemals in KZs inhaftierten Frauen und später auch anderen Traumaopfern das Konzept der Salutogenese entwickelte, kondensierte Werner aus ihren Daten das Konstrukt der Resilienz, der Fähigkeit einiger Kinder, sich trotz chronischen psychischen Stresses psychisch – zumindest weitgehen - gesund zu entwickeln. Als weitere Forschungstradition, die sich allerdings erst deutlich später herausbildete, ist die Traumatisierungsforschung zu benennen. 

Corona-Pandemie als Testfall für die klassische Männerrolle?

Wenig bekannt ist bislang, dass Männer von der COVID-19 Pandemie besonders stark betroffen sind. Die Mortalitätsquoten schwanken um 65% für Männer an der Gesamtzahl der Todesopfer. Männer haben im Verhältnis zu Frauen ein 2.3-fach erhöhtes Risiko, im Falle einer Infektion an dem Virus oder Begleit- und Folgeerkrankungen zu versterben. Wie eine Arbeitsgruppe am Robert-Koch-Institut (RKI) um Dr. Alexander Rommel im Februar 2021 publizierte, verloren die an COVID-19 Verstorbenen Personen durchschnittlich 9.6 Lebensjahre durch frühzeitigen Tod, die Männer dabei 11.0 Jahre, die Frauen 8.1 Jahre. Diese als Burden-of-Disease bezeichneten Berechnungsmethoden analysieren die Implikationen bestimmter Erkrankungen auf Lebensqualität und Frühsterblichkeit. 

Es handelt sich bei diesen Geschlechtsunterschieden um ein markantes Beispiel gesundheitlicher Ungleichheit zu Lasten der männlichen Bevölkerung. Dabei gibt es in den Infektionszahlen keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Das erhöhte Sterberisiko für Männer gilt über alle Altersgruppen ab dem 18. Lebensjahr bis zu den 79-Jährigen. Deshalb wurde von Experten auch in der Frühphase der Impfkampagne eine verstärkte Impfung von Männern vorgeschlagen (siehe „Männer zuletzt! – Sollen Männer bevorzugt gegen COVID-19 geimpft werden?“). Von politischer Seite wurde dieser Vorschlag nie ernsthaft erwogen.

In der Publikation des RKI sind die relativen Wahrscheinlichkeiten auf der Basis der tatsächlichen Bevölkerungsanteile von Männern und Frauen leider nicht wiedergegeben. In der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen, wo der absolute Anteil der Frauen in der Gesamtbevölkerung bei ca. 55 % liegt, weisen die Männer hinsichtlich COID-19-Sterblichkeit einen Anteil von 72% (RKI- Daten vom 01.12.2020) auf. Die Ursachen für diese erhöhte Sterblichkeit der Männer im Vergleich zu den Frauen sind nicht vollkommen klar und können nur zum Teil mit dem ungünstigeren Gesundheitsverhalten, der höheren Zahl von Vorerkrankungen und dem ungesünderen Lebensstil der Männer erklärt werden. Weitere Ursachen biopsychosozialer Natur sind zu vermuten und sollten dringend erforscht werden. Es gibt also gute Gründe, dass sich Männer für eine resiliente Bewältigung der Krise besonders interessieren. Hinzu kommt, dass es Anzeichen gibt, dass Männer unter der Dauerkrise und den damit verbundenen Belastungen besonders leiden (siehe „Corona-Krise und Männer – Leiden Männer inzwischen mehr als Frauen?“). Und dies widerspricht ganz dem üblichen Stereotyp, dass hier in erster Linie auf die – sicher auch sehr schweren – Belastungen bei Frauen abzielt. Deshalb nun vertiefte Ausführungen zur Resilienz bei Männern und Frauen.

Definitionen und Konzepte von Resilienz

Die Forschungen von Emmy Werner und in der Folge vieler anderer Wissenschaftler haben sich im Wesentlichen darauf fokussiert herauszufinden, wie Resilienz als Widerstandsfähigkeit gegen starken psychischen Stress funktioniert. Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und soziale Ressourcen zu bewältigen und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. 

Zunächst kristallisierte sich in den Arbeiten von Werner als Ergebnis wiederholter Befragungen der exponierten Kinder heraus, dass es bestimmte intrapsychische Fähigkeiten waren, die sie besonders resilient machen. Dazu gehörten ein gutes Selbstwertgefühl, eine mindestens durchschnittliche Intelligenz, die Fähigkeit sich selbst zu steuern und zu helfen. Die Kinder, die diese Eigenschaften hatten, konnten besser mit dem Dauerstress in Familien mit Sucht und Gewalt umgehen und blieben häufiger psychisch gesund. Hinzu kam, dass eine liebevolle, bedingungslos akzeptierende, stabil zugewandte Bezugsperson, auf Hawaii häufig die Lehrerinnen, für eine stabile psychische Gesundheit trotz der dauerhaften Widrigkeiten  im Leben der Kinder sorgten. 

In der Folge wurden zahlreiche weitere Resilienzstudien, insbesondere mit Kindern in benachteiligten und traumatisierenden Umwelten, durchgeführt. Seit den späten 1980-er Jahren wurden solche Studien auch in Deutschland durchgeführt, z.B. die Mannheimer Heimkinderstudie. Es zeigte sich, dass meist ein Viertel bis ein Drittel der chronisch exponierten Kinder eine so starke Resilienz aufwies, dass sie keine psychischen oder anderweitigen Beeinträchtigungen davontrugen. Außerdem wurde eruiert, dass Resilienz überwiegend trainierbar ist, also gesteigert werden, sich aber auch im Laufe des Lebens abschwächen kann. Im Mittelpunkt der Forschung stand nunmehr die gesunde, langfristige Entwicklung trotz anhaltendem, hohem Stress. Auch die beständige Kompetenz unter akuten Stressbedingungen wurde zunehmend zum Forschungsgegenstand.

Diese beiden Szenarien entsprechen den von Prof. Klaus A. Schneewind für die Familienpsychologie postulierten Familienstresskonstellationen, dem Toleranzstress und dem Katastrophenstress. Ersterer fokussiert auf die Dauerexposition gegenüber hohem Stress, letzter bezeichnet die Exposition gegenüber einem unerwarteten starken negativen Ereignis. Auch die schnelle Erholung von einem Trauma ist ein Zeichen hoher Resilienz. Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse (2019, 13) definieren Resilienz als einen dynamischen oder kompensatorischen „Prozess positiver Anpassung bei ungünstigen Entwicklungsbedingungen und dem Auftreten von Belastungsfaktoren. Charakteristisch für Resilienz sind außerdem ihre variable Größe, das situationsspezifische Auftreten und die damit verbundene Multidimensionalität“. 

[Fröhlich-Gildhoff, Klaus & Rönnau-Böse, Maike (2019, 5. akt. Auflg.). Resilienz. München: Ernst Reinhardt]

Resilienzfaktoren bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen

Wenn es gilt, Resilienz im Entwicklungsverlauf oder in Krisen zu fördern, spielen konkret benennbare und damit konzipierbare Resilienzfaktoren eine entscheidende Rolle. Viele Resilienzförderprogramme sind heutzutage auf der Basis grundlegender Resilienzfaktoren entwickelt worden. Gerade in der heutigen Corona-Krise, deren Ende noch nicht abzusehen ist, gilt es, die Resilienz aller Menschen – Kinder zumal - zu stärken, die der besonders vulnerablen jedoch besonders im Fokus zu behalten. Besonders resiliente Kinder und Erwachsene weisen die folgenden sieben Resilienzen in hohem Maße auf, so dass sie bei weniger resilienten Personen gefördert und gestärkt werden sollten (vgl. Wolin & Wolin, 1995; Klein et al., 2013). Dies macht in Zeiten der Dauerkrise für alle vulnerablen Kinder und Jugendlichen besonderen Sinn: 

  • (1) Kognitionen: Von der Ahnung über das Wissen zur Erkenntnis. Es hilft Menschen, Stress und Krisen zu widerstehen, wenn sie verstehen, was mit ihnen passiert. Bei Kindern beginnt es oft mit einer Ahnung, dass etwas nicht stimmt, bis sie altersentsprechend Wissen über ihre Umwelt erwerben und ausweiten können, um schließlich zu erkennen, was schief läuft in Familie und Gesellschaft. Dazu gehört: Verstehen, was mit mir passiert. Durchschauen, welche Probleme die anderen haben und wie sie damit (richtig oder fehlerhaft) umgehen. Von der Ahnung (hier stimmt was nicht), zum Wissen (was ich tun muss, damit es mir besser geht) zur Einsicht (in meiner Familie gibt es ein Problem, das ich alleine nicht lösen kann). So kann ich durch meine Gewissheit, dass ich verstehe, was los ist, trotz Krise, Gewalt und Dauerstress wenigstens etwas positives Denken bewahren und dies im Leben ausbauen.
  • (2) Emotionen: Hier geht es darum, sich von negativen, übertriebenen oder unrealistischen Emotionen zu schützen. Vor allem ist es wichtig, sich von Stimmungen und negativen Emotionen, mit denen andere manipuliert werden (sollen), frei zu machen, sich von ihnen zu distanzieren und etwas Eigenes entgegenzusetzen. Eine depressive Mutter etwa wird die Gefühle ihres Kindes auf Dauer mit ihrem negativen Weltbild nachhaltig beeinflussen, im Extrem vergiften. Dies abzuwehren und die eigenen Emotionen von denen eines negativen Vorbildes abzutrennen, wirkt sich resilient aus. Eine gute Emotionsregulation schützt vor psychischen Dysbalancen und Störungen.
  • (3) Beziehungen: Menschen können durch Beziehungen ihre psychische Widerstandskraft stärken und ausbauen, wenn in diesen Beziehungen positive Werte und vor allem Bestätigung und Akzeptanz vermittelt werden. Dafür ist natürlich die Kindheit eine besonders wichtige Phase. Beziehungen können durch wertvolle akzeptierende Erfahrungen eine wichtige Säule der Resilienz werden. Als Resilienzfaktor zählt natürlich im Kern die dann entstehende Beziehungsfähigkeit, sich nämlich positive, wertschätzende und gesundheitsförderliche Beziehungen beschaffen und erhalten zu können.
  • (4) Initiative: Initiativ werden heißt, das Leben in die eigene Hand nehmen und die Selbstwirksamkeit erhöhen. In vielen Resilienzstudien zeigte sich, dass das Engagement in sozialen sportlichen und kulturellen Aktivitäten die Widerstandfähigkeit gegen chronisch widrige Familien- und Lebensumstände stärkte. Für Kinder in benachteiligten oder psychisch dysfunktionalen Kontexten kann dies bedeuten, dass das Engagement im Fußballverein, bei der Jugendfeuerwehr oder im Chor zu der Erhöhung dieses Resilienzfaktors führt.
  • (5) Kreativität: Die intensive Erfahrung grenzüberschreitender Tätigkeiten, wie dies besonders beim Musizieren, künstlerischem Schaffen, Schreiben usw. geschieht, ist ein weiterer wichtiger Baustein zur psychischen Widerstandsfähigkeit. Hier ist es besonders die Fähigkeit, sich durch das Erfinden neuer Sichtweisen und die Distanzierung vom grüblerischen Alltagsdenken und –empfinden zu erleichtern, die bei der Entwicklung von psychischer Stressresistenz hilft.
  • (6) Humor: Schon lange sind die heilenden und gesundheitsförderlichen Funktionen des Humors bekannt. Diese beziehen sich besonders auf selbstbezogenen Humor, die Fähigkeit über sich selbst in humorvoller Art und Weise zu denken und zu empfinden. Dies ist ein Anzeichen für die Fähigkeit, sich vom eigenen Leid und Stress distanzieren und aus einer metakognitiven sich selbst betrachten zu können. Dies umfasst verschiedene Humorformeng, zu denen auf Ironie, Sarkasmus und „schwarzer Humor“ gehören.
  • (7) Moral: Ein stabiles Wertesystem ist wichtig, um Entscheidungen im Leben zu treffen. Die bezieht sich vor allem auf Fragen des Verhaltens im Umgang mit ethischen Grenzfällen. Drogenkonsum, Betrug, Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit sind einige der Themen, die in diesem Zusammenhang relevant werden können. Menschen mit einem klaren Wertesystem können auch in Krisen- und Stresssituationen eher Kurs halten und gut für sich selbst sorgen.

Diese sieben Resilienz-Faktoren wurden durch Interviews mit Kinder suchtkranker Eltern erhoben. Sie sind die Basis vieler Präventions- und Interventionsprogramme. 

Ein alternatives Resilienzfaktorenmodell

Vor einigen Jahren wurden von den Resilienzforschern Reivich & Shatté auf der Basis ihrer Analysen sieben zentrale Resilienzfaktoren postuliert. Die Herleitung dieser Resilienzfaktoren bleibt empirisch unbefriedigend. Dennoch weisen sie eine hohe Alltagsplausibilität und im Übrigen eine hohe Ähnlichkeit zu anderen Resilienzmodellen (wie etwa denen, die von Wolin & Wolin oder Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse [2019] vertreten werden), so dass das Modell hier etwas ausführlicher dargelegt wird. 


Resilienzfaktoren nach Reivich & Shatté:

1. Emotionssteuerung

2. Impulskontrolle

3. Kausalanalyse

4. Selbstwirksamkeit

5. Realistischer Optimismus

6. Empathie

7. Zielorientierung

Auch Systeme brauchen Resilienzen: Paare, Familien, Städte, Staaten, Kulturen

Nicht nur Individuen können Resilienzen entwickeln, auch größere Systeme wie Paare, Familien, Stadtteile und auch ganze Völker und Staaten. Zum längerfristigen Überleben brauchen eben auch Systeme wie Staaten und Kulturen die Fähigkeit, sich bei Stress und Krisen flexibel anzupassen. Dies gilt natürlich besonders für Krisenzeiten wie die jetzige Epoche. Wichtig sind dann Fähigkeiten wie gewaltfreie Kommunikation, Toleranz, Klarheit, Offenheit, Diskursfähigkeit und Konfliktfähigkeit. 

Was braucht es aber dafür, dass Systeme Resilienzen entwickeln? Auch ehemals resiliente Systeme, wie große Reiche und bedeutende Staaten und Gesellschaftsmodelle, können ihre Widerstandsfähigkeiten verlieren. Aber schauen  wir uns das Phänomen der Systemresilienz am Beispiel der Familie an. 

Familienresilienz

Nicht nur Individuen können Resilienz aufbauen und stärken, auch Familien und andere Systeme können ihre Resilienz stärken und entwickeln. Dieser Aspekt stand in der psychologischen Resilienzforschung lange im Hintergrund und findet erst seit einigen Jahren Beachtung. Das Konzept der Familienresilienz wurde Anfang der 2000-er Jahre von Froma Walsh, einer amerikanischen Psychologin, begründet und fokussiert auf die Möglichkeit, dass sich ganze Familien oder familiale Subsysteme (z.B. Geschwister, Mütter und Kinder, Großeltern und Enkel) resilient entwickeln. Noch sind die Forschungserträge zum Thema „Familienresilienz“ vergleichsweise gering. Es werden vor allem drei Familienresilienzfaktoren angenommen: (1) Sinngebende Glaubenssysteme, (2) Flexible, adaptive Organisationsmuster und (3) offene, klare und partizipative Kommunikationsstrukturen. In Situationen der Dauerkrise, wie derzeit durch die Corona-Pandemie bedingt, heißt dies für Familien, dass offen und transparent über die Situation gesprochen, sie Kindern altersgerecht erklärt und alle sich aktiv in die veränderten Abläufe der Familie mit gegenseitiger Unterstützung begeben sollten. Auch das Wissen um die Endlichkeit solcher Krisen kann der Familie bei der Bewältigung helfen, auch und gerade wenn sie in zwei Jahren nicht vorüber sein wird.

Resilienz als zentraler Faktor in der Bewältigung der Corona Krise

Die Widerstandsfähigkeit gegen die derzeitige und noch weiter andauernde Corona-Pandemie variiert interindividuell stark nach allem, was derzeit bekannt ist. Dies hängt nicht so sehr von Merkmalen wie Geschlecht und Alter ab, sondern eher von Persönlichkeit, Einstellungen und Haltungen. Die Durchhaltefähigkeit in Bezug auf die Einschränkungen im Alltag wird zunehmend zur Herausforderung und zum Alltagsproblem. Auch dies erfordert ein hohes Maß an Resilienzen. Menschen  verhalten  sich in der Corona-Krise wie in allen existentiellen Krisen, seien diese nun im sozialen Nahraum (Partnerschaft, Familie) oder in der Gesellschaft als Ganzes. Wichtig sind Stresstoleranz, Flexibilität und Fähigkeiten zur aktiven Bewältigung der Umweltanforderungen.

Die tieferliegenden Persönlichkeitsmerkmale und Stressreaktionsmuster der Menschen werden in diesen Krisen offenkundig. Wie oft zitiert wird, bringt die Krise das „wahre“ Gesicht der Menschen zum Vorschein. Aus der Resilienzforschung können viele Schlussfolgerungen zur Bewältigung der jetzigen Dauerkrise gezogen werden.  Die jahrelange Beschäftigung der Resilienzforschung mit Individuen und Systemen in der Krise und unter hohem Alltagsstress, wie dies bei suchtbelasteten Familien meist der Fall ist, nutzt nun auch bei der Bewältigung der Corona-Krise.

Die meisten Resilienzexperten empfehlen folgende Konsequenzen:

Emotionsregulation, Impulskontrolle, Kausalanalyse, Empathie, realistischer Optimismus und Zielorientierung sind wichtige Kompetenzen der heutigen Zeit genauso wie Humor, Kreativität Autonomie und Initiative. All dies sind Beiträge zur einer gelingenden resilienten Krisenbewältigung. 

Es ist denkbar, dass die Kinder der Generation Corona resilienter werden als die vorherige Generation, weil sie diese Fähigkeiten jetzt erlernen und anwenden müssen. Genauso ist es aber auch möglich, dass sich mehr psychische Schäden in dieser Generation zeigen werden, wenn nicht genügend Resilienzen rechtzeitig erworben werden konnten. Erst künftige Studien werden dies genau aufdecken können. 

Neun psychische Schritte gegen Corona: FACE COVID

Der in Australien lebende britische Arzt und Psychotherapeut Russ Harris (geb. 1966) hat ein neun Punkte umfassendes Programm mit dem Titel „Face Covid“ zur mentalen Bewältigung der Corona-Krise entwickelt. Es beruht auf dem Therapieansatz der Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT), die eine besondere Form der Achtsamkeitstherapie darstellt. 

Die neun Schritte sind: 

(1) F = Fokussierung auf die Dinge, die man kontrollieren und beeinflussen kann. Zudem akzeptieren, dass man nicht alles beeinflussen kann. Dies sorgt für innere Klarheit und mehr Ruhe. 

(2) A = Achtung auf die eigenen Gefühle und Gedanken. Auch negative Emotionen und Kognitionen wahrnehmen und zulassen. 

(3) C = Comeback in den Körper. Die unter den Phasen F und A gemachten Erfahrungen im Körper aufnehmen. Wo spüren Sie Ihre Gedanken und Gefühle? 

(4) E = Engagement im Hier und Jetzt. Achtsamkeit für die Dinge, die gerade da sind. Was sind die fünf Dinge, die sie gerade sehen, hören oder riechen?

(5) C = „Committed Action“: Was können Sie jetzt gerade tun, um für sich selbst oder für andere (Partner, Kinder) die Lebensqualität zu erhöhen? Führen Sie dies aus!

(6) O = Offen sein für sich selbst, auch wenn schwierige Gefühle und Gedanken aufkommen. Begegnen Sie sich selbst und anderen mit diesem Mitgefühl und einer tiefen Freundlichkeit und Herzlichkeit. 

(7) V = Values/Werte: Wofür stehe ich? Was sind meine unveränderlichen und unveräußerbaren Werte? Denn Menschen brauchen Werte, gerade in der Krise. Stellen Sie Ihre Werte nicht in die Vitrine, sondern leben Sie sie real, jeden Tag!

(8) I = Identifizieren Sie Ihre Fähigkeiten und Ressourcen, die Ihnen gerade jetzt helfen können: Partner, Freunde, Kinder, Eltern, aber auch Muße zu Hause, Hobbys, Haustiere. Machen Sie sich eine Liste zu Ihren besonders wichtigen Ressourcen. 

(9) D = Distanzierung: Halten Sie die Hygiene- und Abstandsregeln ein, solange die Pandemie grassiert, um sich und andere zu schützen!

Gesellschaften und Staaten brauchen auch Resilienzen

Auch größere Systeme passen sich unterschiedlich gut an die Corona-Krise an: Staaten, die in Folge ihrer ignoranten oder inkompetenten Regierungen das Problem erfolgreich zu ignorieren hofften, was dem Abwehrmechanismus der Verleugnung entspricht, lassen ihre Bürger einen hohen Preis dafür zahlen. Gerade populistische Regime scheinen für diesen dysfunktionalen Bewältigungsversuch der Krise besonders prädestiniert.

Auch in Suchtfamilien ist dieser Mechanismus der Verleugnung und kognitiven Verzerrung bekannt: Das allseits offensichtliche Phänomen der Suchterkrankung eines Familienmitglieds wird mit aller Macht geleugnet, bis es nicht mehr geht, weil die negativen  Konsequenzen gar nicht mehr zu leugnen sind.  So taumeln viele Regierungen und die ihnen exponierten Völker derzeit durch die Krise.

Auch die Schwächen des deutschen Systems zeigen sich in der Dauerkrise in klarer Weise: Lange Entscheidungswege, unklare Zuständigkeiten, Verschiebung der Verantwortung zwischen verschiedenen Instanzen und Akteuren sind nur einige der zutage getretenen Symptome. Besonders typisch ist die Unterschätzung der durch unterlassene Aktionen herbeigeführten Schäden. Kontraintuitives Handeln, d.h. kluges, vorausschauendes Agieren auf der Basis von Risiko- und Wahrscheinlichkeitsabschätzungen, ist gefragt und erweist sich als eine der schwierigsten Aufgaben politischer Exekutive. 

Wie geht es weiter? Resilienzstabilisierung und –ausbau

Die derzeitigen Verhältnisse in Gesellschaft und Familien stellen dauerhaft hohe Anforderungen an die Bewältigungsfähigkeiten aller, besonders aber der psychisch Schwachen und Kranken. Die Kommunikation über die Corona-Pandemie und ihre Folgen für Gesellschaft und Familie sollte den Erträgen der Resilienzforschung folgen und damit sowohl im kognitiven als auch im emotionalen Bereich die Bewältigungsressourcen stärken. Dies kommt dann wiederum den besonders vulnerablen Personengruppen zu Gute, vor allem Kinder, Jugendliche, Kranke und Gefährdete. Gerade sie brauchen Stärkung ihrer psychischen Ressourcen, z.B. zur Abwehr depressiver Gedanken, Angstgefühlen und Rückfallphantasien bei Sucht und der Tendenz der Selbstaufgabe bei drohender oder eingetretener Arbeitslosigkeit. 

Und ja, es stimmt, Menschen halten unheimlich was aus, wie ein Psychotherapiepatient unlängst sagte. Aber damit sie an dem, was sie - vor allem als Kinder - aushalten müssen, nicht zerbrechen  und möglichst psychisch gesund bleiben, was bei ihm nicht der Fall war, sollten ihre psychischen Widerstandskräfte frühzeitig und nachhaltig gestärkt werden. Prävention psychischer Störungen, die flächendeckend in  unserem Land für Kinder und Jugendliche nicht geschieht, ist keine Luxusleistung des Gesundheits- und Sozialwesens, sondern zwingend notwendig. Wann besonders, wenn nicht jetzt!?! Denn in der Krise zeigen sich die Schwächen des Systems am klarsten. Und eine der größten Schwächen unseres Gesundheitssystems ist die Vernachlässigung der Bedürfnisse von Kindern und die Unterschätzung der mächtigen Rolle des Psychischen. 

Abschließend:

Konkrete Tipps und Übungen zur Resilienzförderung (nicht nur für Männer)

Wenn Sie nun Lust bekommen haben, Ihre Resilienz ganz konkret zu trainieren, folgen hier 13 Tipps für Sie zur Anwendung im Alltag der Corona-Pandemie:

  • Sorgen Sie für Regeln und Rituale im Alltag!
  • Sie können sich jetzt weiterentwickeln.
  • Entspannen Sie sich - oft und tief!
  • Bleiben Sie in Kontakt!
  • Humor hilft!
  • Schlafen ist wichtig.
  • Betreiben Sie Denkhygiene!
  • Seien Sie achtsam!
  • Bleiben Sie beweglich! In jeder Hinsicht.
  • Ihre Gefühle sind wichtig.
  • Spiritualität hilft.
  • Ernähren Sie sich gut!
  • Ein Glücksbringersatz zum Ende

Mehr Details zu den gelisteten Tipps, finden Sie hier: Corona-Lockdown Survival-Tipps, nicht nur für Männer!

 


Tags

Corona-Krise, COVID-19, Face Covid, Krisen, Männer, Psychische Gesundheit, Resilienz, Stress, Stressforschung, Widerstandskraft


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