Der weiße, alte Mann ist inzwischen das Hass- und Negativstereotyp unserer Epoche, insbesondere aus Sicht der kritischen Rassentheorie, der sogenannten Identitätspolitik und der Gruppierungen im Gefolge dieser Ansätze. Es handelt sich dabei um aktuell beliebte, in den sozialen Netzwerken weit verbreitete, gesellschaftliche Theorien, die in populistischer Form einfache Welterklärungsmodelle liefern. Viele jüngere Personen in den sozialen Netzwerken beziehen sich darauf und haben beim Gedanken an ältere Männer Bilder von Tätern und Politikern im Kopf, die das Klischee des ungerechten, ausbeuterischen und zugleich privilegierten weißen Mannes bedienen und zugleich immer wieder neu erzeugen. Daraus entwickelt sich eine schier endliche Kampagne teils beschämender, teils beschuldigender Attacken auf die Gruppe der älteren Männer als Ganzes, soweit sie weiß und westlich sind.
Die Zielgruppe „alter, weißer, heterosexueller Mann“
Ein Großteil der Verunglimpfungen und Hasskampagnen gegen ältere, weiße Männer, die obendrein noch eine sexuelle CIS-Orientierung (also nicht trans-, inter-, pansexuell usw.) haben, spielt sich in der digitalen Online-Welt ab. Es scheint dann so, als ob es abartig ist, diese drei Merkmale aufzuweisen. Ganz offensichtlich ist es, dass wie mit einem Zaubertrick die alten Minderheiten zu gefühlten Mehrheiten und die alten Mehrheiten umgekehrt zu Randgruppen umbewertet werden. Dies mag eine herausfordernde Selbsterfahrung im Stile der Seminare der Anti-Rassismus Aktivistin Jane Elliot sein. Aber im Kern sind diese Seminare, ebenso wie die Critical Whiteness-Aktionen, genauso rassistisch und menschenverachtend, wie die rassistischen Strukturen, die sie anprangern.
Meist handelt es sich bei den Zielpersonen der Critical-Whitness-Aktivisten um heterosexuelle Männer der sogenannten Baby-Boomer-Generation, die hier zur Projektionsfläche des gruppenbezogenen Menschenhasses geworden sind. Dabei leben in Deutschland mehr als 10 Mill. Männer im Alter von über 60 Jahren, auf die all dies zutrifft. Im Jahr 2020 erschien ein Buch mit dem Titel „Ich hasse Männer“ in einem renommierten deutschen Verlag (vgl. dazu auch „Wozu Aufklärung, wenn ich fühle, wie es ist?“). Stellen Sie sich dies komplementär vor! Genau, das ginge niemals und das ist auch gut so.
Es handelt sich bei den Verunglimpfungen älterer Männer um ein Phänomen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, wie es gegenüber anderen Gruppen völlig undenkbar ist. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich selbst zu der Gruppe gehöre, deren schlechte Behandlung ich hier beklage. Aber genau das gibt mir das besondere Recht, meine Stimme zu erheben und Respekt einzufordern, wie dies für jede andere Gruppe von Menschen selbstverständlich ist. Es muss wieder Maxime ethischen Handeln werden, dass Menschen nicht nach ihrem Geschlecht, Alter oder Hautfarbe, sondern nach ihren Taten und Einstellungen beurteilt werden.
Über alte, weiße Männer lästern – das geht heutzutage immer
Das Verbot und die Tabuisierung öffentlicher Hassbotschaften sollte für jede Personengruppe unabhängig von Geschlecht, Alter, Aussehen und Hautfarbe gelten. Das ist ein Gebot humanistischer Grundsätze, die auch in der Identitätspolitik und im Feminismus Geltung haben sollten. Aber so weit ist die Sensibilität und die Kultur in manchen Kreisen der Gegenwartsgesellschaft noch lange nicht. Männer - und zumal ältere, weiße Männer – sind die einzige Gruppe, über die folgenlos und ausgiebig Verächtliches, Herabwürdigendes, Verunglimpfendes gesagt werden kann. In der Werbung, in den öffentlichen Medien, im Bildungsbereich und in den sozialen Netzwerken lässt sich dies ausgiebig besichtigen. Nach Meinung vieler psychologischer Experten werden die Auswirkungen dieser toxischen Kampagne auf die heranwachsenden Jungen verheerend sein (siehe auch „Stimmung machen gegen Männer als Geschäftsmodell – toxische Männlichkeit und die gesellschaftliche Realität“).
Ähnlich negative Äußerungen sind gegenüber Frauen, Geflüchteten, Migranten und Nicht-Weißen völlig undenkbar und würden (zu Recht) mit negativen Reaktionen belegt. In der heutigen Gesellschaft herrscht ein Übermaß an Misandrie (Hass und Missgunst gegenüber Männern).
Nicht divers genug!
Der weiße, alte Mann ist in unserer Kultur nicht mehr erwünscht und schon gar nicht mehr gefragt. Auch verdiente Persönlichkeiten, wie der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse musste dies zuletzt erfahren. Und das Haupt“argument“ gegen ihn in vielen Beiträgen in den sozialen Netzwerken waren sein Alter, seine Hautfarbe und sein Geschlecht. Wie billig!
Obwohl identitätspolitisch motivierte Personen vorgeben, sich für die Interessen von Minderheiten einzusetzen, geschieht dies interessanterweise nicht für ältere, oft einsame, kranke Männer. Diese haben keine Lobby in der offiziell nach Gleichheit und Gerechtigkeit strebenden Gesellschaft. Mit anderen Worten: Sie sind es nicht wert, weil sie nicht in das Stereotyp der Bedürftigkeit, der Diskriminierung und des Rassismus passen. In einem tieferen Sinne sind sie es nicht wert, Aufmerksamkeit zu erhalten, eben nur weil sie Männer sind. Dies würde das propagierte Weltbild vom bösen, kolonialistischen, patriarchalen Mann besudeln.
Mit anderen Worten: Die älteren, weißen Männer sind der identitätspolitischen Agenda nicht divers genug. Das ist der Hauptvorwurf, der ihnen latent gemacht. Verstehen können sie dies nicht. Und bei genauerer Betrachtung und mit Einsatz von Vernunft ist es grob unverständlich!
Es sollte aber nicht verkannt werden, dass gerade unter älteren Männern die Zahl der Einsamen, der psychisch Kranken und der gesellschaftlichen Verlierer und Isolierten steigt. Experten schätzen die Zahl der einsamen, psychisch stark belasteten Männer auf mindestens 3 Millionen. Nicht selten ist diese Lebenssituation so schwer zu ertragen, dass es zu Alkohol- und Medikamentenmissbrauch und –abhängigkeit, Depressionen und Suizidalität kommt. Bisweilen führt der Alkoholmissbrauch jedoch auch genau erst in das Dilemma der Isolation und Einsamkeit.
Stereotypen enthalten Wahrheit - sind aber nicht “wahr”
Wie konnte es soweit kommen mit den weißen Männern und noch viel mehr mit der vermeintlich so sensiblen und auf Gerechtigkeit bedachten Gendergesellschaft? Wie selektiv ist die postmoderne Gesellschaft in ihrer vermeintlichen Humanität, dass sie sich anmaßt zu bestimmen, wem diese Zuwendung zukommt und wem nicht? Ohne Zweifel hat – wie bei jedem Stereotyp – die Zielperson etwas mit dem Inhalt des Stereotyps zu tun. Oder mit anderen Worten: Es ist mehr als ein Körnchen Wahrheit daran, dass manche älteren weißen Männer sexistisch, rassistisch, narzisstisch - und was auch immer an negativen Verhaltensweisen denkbar ist – sind.
Dies aber und da liegt gleichzeitig das Problem: Sie sind es nicht mehrheitlich, sie können es in Einzelfällen sein! Sie sind es aber nicht an sich oder auch nur mehrheitlich, wie das Stereotyp glauben lässt. Wie viele Männer sind wirklich böse, ekelhaft, sexistisch oder gewalttätig. Nach vorsichtigen Schätzungen: Keine 5 Prozent! Der weiße, ältere Mann an sich ist nicht so! Daher ist die Aussage über den weißen, alten Mann im Kern nicht wahr und diskriminierend!
Das Stereotyp vom weißen, alten Mann als Allzweckkeule im Polit- und Geschlechterkampf
Die Ideologie, die das Stereotyp des weißen, alten Mannes als Hass- und Projektionsobjekt erfunden hat und unbarmherzig auch gegen die Mehrheit der nicht deliktbeladenen Männer verbreitet, ist oft weltanschaulich in den Bereichen Anti-Rassismus, Anti-Sexismus, Diversity und Genderismus verortet. Die entsprechenden Aktivisten wollen vorgeblich für gesellschaftliche Gerechtigkeit sorgen und fühlen sich moralisch überlegen, sind aber bei genauerer Betrachtung keineswegs gerecht gegen alle, moralisch fair oder handeln gar rational begründet.
Im Gegenteil: Die Handlungen der Critical-Whiteness-Aktivisten, die auch in Deutschland immer mehr um sich greifen, sind im Kern menschenverachtend, unmoralisch und voller gruppenbezogenem Hass. Ich habe noch keinen Beitrag aus der Richtung der genannten Bewegungen gesehen, der es schafft, gerecht gegen alle Menschen zu sein. Meist wird das Stereotyp des toxischen Mannes als Kampfmittel gegen die Mehrheit der Männer benutzt. Besonders die alten weißen Männer werden in polemische Geiselhaft genommen und dienen dann als Allzweckkeule im Polit- und Geschlechterkampf, weil es einige Exemplare von ihnen gibt, die sich unmoralisch oder menschenverachtend verhalten.
Bei tieferer Überprüfung jedoch erweist sich der Umgang mit älteren Männern von Seiten der vermeintlich minderheitenschützenden Identitätspropagandisten als rein ideologisch motiviert, diskriminierend und letztlich selbst rassistisch. Diejenigen, die am lautesten behaupten, es gäbe keinen Rassismus gegen Weiße, praktizieren ihn in diesen Handlungen. Die Wahrheit über ältere, weiße Männer sieht indes ganz anders aus: Die weitaus meisten dieser Männer sind offen für Diversität, verhalten sich fürsorglich gegenüber Frauen und Kindern und sind eben nicht gewalttätig.
Andererseits sind die Identitätspolitischen erstaunlich übersensitiv und hyperkorrekt, wenn es um ihre Stammklientele geht (Migranten, Geflüchtete, Transsexuelle). All dies sind Zeichen persönlicher Unglaubwürdigkeit und Unausgewogenheit und die meisten vermeintlich wissenschaftlichen Arbeiten aus diesen Quellen (Genderismus, Intersektionalität, Postkolonialismus usf.) erweisen sich bei genauerer Prüfung selbst als diskriminierend und abwertend gegen die neuen Minderheiten der postmodernen Gesellschaft. Das identitätspolitische Biotop lebt von Hypermoral, Hysterie und Hyperemotion, kurz von exzessivem Hyperismus.
Männer gelten heutzutage immer häufiger als „toxische Problemfälle“
Männer erscheinen heute in der Gesellschaft und Politik immer häufiger als Problemfälle: Täter, Grapscher, Vergewaltiger, Misshandler, auf jeden Fall als riskant und im Kern gefährlich – eben toxisch für andere Menschen, besonders Frauen und Kinder. Ihnen gehöre die Vergangenheit, den Frauen die Zukunft, heißt es in forschen feministischen Texten. Bisweilen bezichtigen sich Männer selbst ihrer Männlichkeit, die sie zu untragbaren Wesen mache.
So veröffentlichte unlängst ein Autor im Zeit-Magazin, in dem er sich selbst bezichtigt, weil er gerade an dem später veröffentlichten Beitrag zu Sexismus gegenüber Frauen schreibt, während seine Partnerin die Wohnung putzt, und der doch im Grund keine Ahnung über Sexismus habe. Der im Übrigen völlig wirre Beitrag, den der Autor als finanzierte Auftragsarbeit benennt, bringt außer wirren Gedanken und eben Selbstbezichtigungen als Mann keinerlei nennenswerte Inhalte.
Diese Selbstbezichtigungen erinnern dann an Rituale aus der Inquisition oder dem Stalinismus der 30-er Jahre des letzten Jahrhunderts. Offenbar streben Männer mit diesen Selbstbezichtigungsäußerungen nach Absolution und Zuneigung durch Frauen oder den Feminismus insgesamt. Die Negativsicht auf das männliche Geschlecht und auf Männlichkeit als solche, was inzwischen auch von immer mehr jüngeren Männern internalisiert wird, ist über viele Jahrzehnte hinweg entstanden, hat aber in letzter Zeit an Stärke und Beschleunigung zugenommen. Das ganze Phänomen findet statt, obwohl faktisch eine Toxizität nur von einer kleinen Minderheit von Männern ausgeht. Die Zahl der hochgradig aggressiven und antisozialen, impulsgestörten Männer kann auf höchstens 5% aller erwachsenen Männer geschätzt werden. Viel mehr Männer sind real von Ängsten, Depressionen und Selbstwertproblemen betroffen.
Das Spiel mit Täterschaft und Opferschaft
Schon lange ist bekannt, dass auch Männer Opfer häuslicher Gewalt werden. Forschungsstudien zeigen immer wieder, dass ein gutes Drittel der Delikte häuslicher Gewalt sich gegen Männer richten, oft ohne dass diese selbst Gewalt ausüben. Das öffentliche Stereotyp, dass ausschließlich Frauen Opfer häuslicher Gewalt und nur Männer Täter in den Haushalten sind, ist nach wie vor so weit verbreitet, dass auch die öffentlich-rechtlichen Medien dies überwiegend verbreiten.
Letztens wurde eine Beschwerde beim Rundfunkrat des SWR eingereicht, weil dieser in einer Dokumentationssendung genau diesem Stereotyp aufgesessen war, und das Thema Gewalt gegen Männer in einer Sendung über häusliche Gewalt gar nicht erwähnte – auch nicht mal am Rande. In der Sendung waren stereotyp alle Täter Männer und alle Opfer Frauen. Aber genau dies ist die Täuschung. Gewaltverhalten ist wesentlich komplexer und der SWR sollte seinen Zuschauer wenigstens eine Ahnung von dieser Komplexität zwischen den handelnden und erleidenden und wiederum handelnden Personen vermitteln.
Das Bild von Männlichkeit in vielen Medien ist ein Zerrbild
Die Gefahr der Vermittlung von Zerrbildern in Bezug auf Männer und Frauen in den Medien liegt in der Generalisierung des Negativbildes und einer automatischen Zuschreibung negativer Eigenschaften auf alle Männer. Dies beginnt schon in der Kindheit und in entsprechenden Bildungseinrichtungen im Verhalten der fast nur weiblichen Fachkräfte gegenüber Jungen. Diese werde oft ohne Empathie als potentielle Aggressoren, Täter und Stör- oder Gefahrenquellen gesehen. Dies bedeutet eine erhebliche Gefahr früher Stigmatisierung, Diskriminierung und Erzeugung zusätzlicher selbsterfüllender Prophezeiungen auf Seiten der späteren Männer.
Männlichkeit wird dementsprechend in vielen Kontexten - gerade auch sogenannten Qualitätsmedien – inzwischen automatisch mit negativen Eigenschaften assoziiert. Und auf der anderen Seite – und auch dies ist als Gefahr zu werten – besteht das Problem darin, dass allen Frauen automatisch eine Opferrolle zugeschrieben wird. Dadurch werden aber Frauen wie Männer belastet: Frauen weil sie kaum noch eine Chance haben, diese vordergründig vorteilhaftere Rolle – weil mit Zuwendung und Mitgefühl versehene Position - zu verlassen. Männer, weil die Tatsache, dass sie auch Gewalt erleiden können, übersehen wird. Dabei sollte der Fokus im Übrigen nicht nur auf physische und sexuelle Gewalt, sondern auch auf emotionale und psychische Gewalt gelegt werden. Mit anderen Worten: Alle Formen der menschenverachtenden Gewalt sind zu bannen und zu überwinden.
Klar ist jedoch auch: Alle Männer, die Fehlverhalten, wie Gewalt, Missbrauch, Kriminalität zeigen, müssen zur Rechenschaft gezogen werden! Diese Maxime gilt im Übrigen natürlich für alle Menschen. Und außerdem: Viele der Täter, die im transgenerationalen Zyklus der Wiederholung von Gewalt stehen, brauchen therapeutische Hilfe. Prävention wäre dabei noch besser und am Ende der Königsweg der Gewaltreduktion und im Idealfall der Gewaltverhinderung.
Gewaltverhalten bei Männern hat immer eine Geschichte
Dass die Entwicklung von Männern zu Gewalttätern – gerade im Bereich der sexuellen und physischen Gewalt – viel mit ihrer Biographie, frühen eigenen Traumatisierungen und Vernachlässigung zu tun hat, wird selten begleitend erwähnt, sollte jedoch nicht vergessen werden. Die Gewaltforschung zeigt diesen Kreislauf der Gewalt immer wieder eindrucksvoll.
Hinzu kommt, dass Jungen, die ohne Väter oder mit lieblosen, emotional distanzierten Vätern aufwachsen, eine Risikogruppe für späteres Gewaltverhalten darstellen. Gewaltverhalten bei Männern hat immer eine Geschichte - keine gute! Abwesende oder prügelnde Väter, lieblose, vernachlässigende Mütter, versagende, empathielose Fachkräfte in Institutionen sind nur einige der meist sehr komplexen Hintergründe und Ursachen.
Selbst ein böser, alter, weißer Mann – um das Klischee zu bedienen - war einmal Kind und Junge. Auch Ex-US-Präsident Donald Trump als lebendes und praktizierendes Beispiel maximal negativer Männerklischees war ein Kind, und das übrigens als Junge eines schwer narzisstischen Vaters und Großvaters. Es geht nicht darum, Fehlverhalten bei Männern zu entschuldigen, sondern es muss darum gehen, Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen, zu verhindern oder zu behandeln.
Wie kommt Gesellschaft da jemals wieder raus?
Je länger und intensiver man sich die identitätspolitischen Beiträge anschaut, umso mehr erkennt man deren Abwegigkeit und ultimative Menschenfeindlichkeit. Sie sind von dem beseelt, was sie vorgeblich bekämpfen wollen: Diskriminierung, Verachtung und Hass. Die intellektuelle Flughöhe der popularisierten kritischen Gesellschaftstheorien ist niedrig. Indem bestimmte Subgruppen aufgewertet werden, werden andere abgewertet. Es stellt sich die Frage, wie die Gesellschaft insgesamt jemals wieder aus dieser Verquerung der Wahrnehmung, Vernunft und Aufklärung herauskommen soll und wird?
Am Anfang sollte die Rückbesinnung auf humanitäre Werte stehen und dass alle Menschen gleichwertig sind. Diese bezieht sich jetzt eben nicht auf die inzwischen weitgehend ehemaligen Randgruppen (PoC, Migranten), sondern auf die, die neuerdings zu Randgruppen gemacht werden. Die Schaffung besserer Lebens- und Alltagsbedingungen für ehemalige Randgruppen, darf keine neuen Randgruppen schaffen. Was die Privilegien von Menschen oder Gruppen von Menschen betrifft, die in der identitätspolitischen Debatte oft als Argument gegen Gruppen wie ältere Männer ins Feld geführt wird, empfiehlt sich ein Blick auf die Fakten: Armut, psychische Probleme und soziale Ausgrenzungen sind auch unter älteren, weißen Männern weit verbreitet. Dies zeigt sich an hohen Quoten für Wohnungslosigkeit, Suchterkrankungen, Suizide und chronische Erkrankungen.
Die Privilegiendebatte zu Lasten der weißen Männer verkennt, dass die wahre Spaltung der Gesellschaft nicht zwischen Frauen und Männern, Weißen und Nicht-Weißen verläuft, sondern zwischen Oligarchen und dem Volk. Und dies schon seit vielen Jahrhunderten und in verschärfter, aber kaum mehr öffentlich wahrnehmbarer, Form während der letzten Jahrzehnte seit der Digitalisierung der Gesellschaft.
„All Lives Matter“ – Moralischer Imperativ für alle
Zu den Fragen der gesellschaftlichen Spaltung entlang von Armut und Reichtum, Jugend und Alter sowie den daraus resultierenden Unterschieden in Teilhabe und Bildung gibt es von den identitätspolitischen Gruppierungen nur dröhnendes Schweigen, wenn es um Benachteiligungen älterer, weißer Menschen geht.
Nachdem im Jahr 2020 die Botschaft „Black Lives Matter“ überall ins öffentliche Bewusstsein drang, wurde von anderen der Slogan „All Lives Matter“ propagiert. Der wurde von den meisten BLM-Aktivisten radikal bekämpft. Wieso? „All Lives Matter“ ist im Grunde unsere Verfassungsbotschaft der Gleichberechtigung und Würde aller Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion und Aussehen. Nur dies kann der Weg aus dem Dilemma der sich völlig verheddernden Identitätspolitik und der oft unkritischen Rettungsversuche für immer kleinere Teilgruppen der Gesellschaft sein.
Niemand hat dies so eindeutig und klar als Ethik des Alltags formuliert wie Immanuel Kant: Als Kriterium, ob eine Handlung moralisch gut ist, ist zu hinterfragen, ob sie einer Maxime folgt, deren Gültigkeit für alle, jederzeit und ohne Ausnahme akzeptabel wäre, und ob alle betroffenen Personen nicht als bloßes Mittel zu einem anderen Zweck behandelt werden, sondern als Zweck und Wert an sich. Oder mit seinen eigenen Worten: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“