UA-176845053-2 Männer und Emotionen – eine schwierige Beziehung?

Dezember 3

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Männer und Emotionen – eine schwierige Beziehung? (Männerrat #15)

„Die größte Schwäche von Männern ist es, Stärke vorzutäuschen; die größte Stärke von Frauen ist es, Schwäche vorzugeben“, so meint der amerikanische Männerforscher Prof. Warren Farrell. Männern wird oft ein defizitärer Umgang mit Gefühlen vorgeworfen. Sie zeigten keine oder zu wenig Gefühle, heißt es dann. Dabei muss man bedenken, dass diese Kritik ganz überwiegend von Frauen kommt, die das Verhalten von Männern dann meist nach ihrem eigenen Vorbild wünschen und nach ihren Maßstäben beurteilen. Entsprechend sind es oft Männer, die umgekehrt beklagen, dass ihre Frauen ihre Gefühle nicht im Griff haben, dass sie zu starke oder stark schwankende Gefühle zeigen. 

Aus diesen Erfahrungen wird unschwer klar, dass Männer und Frauen – im Durchschnitt betrachtet – einen klar unterschiedlichen Umgang mit ihren Gefühlen zeigen. Keiner hat in einem tieferen Sinne recht. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, jeder an seinem Problem arbeiten. Und in Partnerschaften muss ein Weg miteinander gefunden werden. Am besten ist es, wenn die Geschlechter dabei mit Respekt und Achtung voneinander lernen. Aber oft ist es nicht so und die einen wollen die anderen nach ihrem Muster verändern. Dabei haben sie meist unbewusst genau das im Partner ausgewählt, was sie selbst nicht vermögen: Emotionen übermäßig kontrollieren bzw. Emotionen unkontrolliert rauslassen.

Männer und Emotionen: Männer sollen selbst ihre Ziele stecken

Aber es sollte festgehalten werden, dass es nicht adäquat ist, von den Männern einseitig mehr Gefühlsäußerungen zu fordern, weil dies den Frauen so richtig erscheint. So einfach ist es eben nicht im Umgang mit Emotionen. Aber wie sollen Männer mit ihren Gefühlen umgehen? Welche Ziele könnten sie sich selbst stecken, um ihre psychische Gesundheit zu fördern? Darum geht es im Folgenden. Die relevante Zielsetzung kann nicht einseitig sein, dass Männer mehr Gefühle zeigen. Dies kann im Falle von Wut und Trauer zu ungünstigen, selbst- oder fremdschädigenden Ergebnissen führen. Vielmehr muss es um die bewusste und adäquate Steuerung des Gefühlsausdrucks gehen, die eine bessere Bedürfnisbefriedigung bringt und das soziale Miteinander positiv fördert.

Im Übrigen ist die emotionale Defizithypothese gegenüber Männern eine Position, die heutzutage oft unhinterfragt nicht nur von Frauen im praktischen Leben, sondern auch in den Sozialwissenschaften vertreten wird. Dabei spielt sicher die Tatsache eine Rolle, dass die Sozial- und Erziehungswissenschaften zu mehr als drei Vierteln von Frauen dominiert werden. Oft fällt es dann schwer, die Position von Männern zu verstehen, ihr Innenleben nachzuvollziehen oder ist wird einfach nicht gewollt. Dabei sind die Zusammenhänge des Gefühlserlebens- und der Gefühlsverarbeitung bei Männern viel komplexer, als die populistischen Annahmen das nahelegen. Deshalb geht es mir im Folgenden ganz bewusst um eine Position von Männern für Männer.

Wozu überhaupt Emotionen?

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Aber auch innere Reize – wie Phantasien, Träume, Erinnerungen – können emotionale Prozesse anstoßen. Emotionen entstehen im limbischen System unter Beteiligung von neurochemischen Botenstoffen (Neurotransmitter). Das limbische System ist ein stammesgeschichtlich älterer Teil des Gehirns im Zwischenhirn. Der amerikanische Neurowissenschaftler und Emotionsforscher Antonio Damasio unterschied streng zwischen Emotionen und Gefühlen. Emotionen entstehen im limbischen System und bereiten das Individuum auf Handlungen vor, etwa auf Reaktionen auf Gefahren oder auch auf soziale Nähe. Gefühle sind die in der Großhirnrinde (cortex cerebri) verarbeiteten Emotionen. Hier geschehen Bewertung, Vergleiche und sprachliche Reaktionen. Gefühle sind so etwas wie Leitplanken, die Orientierung im Alltag geben und für Bedürfnisbefriedigung sorgen.

Emotionen – von Anfang an!

Für Menschen sind Emotionen wichtig, um Orientierung und Handlungsbereitschaft zu bekommen. Sie sind unsere Leitplanken für den Alltag. Kinder kommen mit einer emotionalen Grundausstattung zur Welt, die genetisch determiniert ist. Dies sichert ihnen das Überleben. Zu den Grundemotionen zählen Überraschung, Angst, Freude und Ekel. Sie werden als Grundemotionen bezeichnet, weil sie die notwendige Basisausstattung zum Verstehen der Umwelt sind und gleichzeitig die Signale darstellen, durch die Mütter und Väter die Bedürfnisse ihres Kindes dechiffrieren können. Der US-amerikanische Emotionsforscher Paul Ekman ging davon aus, dass Menschen über zunächst sechs Basisemotionen verfügen: Furcht, Trauer, Freude, Ekel, Ärger und Überraschung. Diese differenzieren sich im Laufe des Lebens vor dem Hintergrund konkreter Erfahrungen und Interaktionen weiter. Insgesamt werden mehr als 100 Gefühle unterschieden, die sehr differenziert sein können. Dazu zählen z.B.: Neid, Eifersucht, Überdruss, Kummer, Ungeduld.

In der Kindesentwicklung ist es wichtig, dass Emotionen zu Bedürfnisbefriedigung führen, damit das Kind Vertrauen in seine Umwelt entwickeln kann. So kann eine sichere Bindung zwischen Kind und Mutter bzw. Vater entstehen. Wenn es Hunger hat, muss es gestillt oder gefüttert werden, wenn es Angst hat, muss es beschützt werden, wenn es einsam ist, muss es Nähe spüren.

Männer und Emotionen: In gutem und engen Kontakt mit sich selbst sein

Ein guter Kontakt zu den inneren Impulsen des Organismus ist essentiell für die psychische Gesundheit. Besonders für die Bedürfnisbefriedigung ist eine differenzierte eigene Gefühlswahrnehmung entscheidend. Es handelt sich dabei vor allem um die folgenden Grundbedürfnisse (nach Prof. Klaus Grawe): Bedürfnis nach Bindung (Beziehung), Orientierung und Kontrolle, Selbstwerterhöhung sowie Lustgewinn und Unlustvermeidung. Mit der Erfüllung dieser Bedürfnisse können sich Kinder psychisch und körperlich gesund entwickeln. Mit zunehmendem Lebensalter entwickeln Kinder eine Balance zwischen Emotionen und Kognitionen, so dass sie wissen, welche Bedürfnisse wann erfüllt werden können und müssen, sie aber auch lernen, Frustration und Warten zu ertragen. Gerade im Umgang mit negativen Emotionen – wie Traurigkeit, Einsamkeit, Kummer usw. – sollten sich Männer mehr erlauben, zu sich zu stehen und ihre Gefühle zu zeigen. Es gehört zu einer reifen Männlichkeit, seine Gefühle wahrzunehmen und mit nahestehenden Menschen zu teilen. Dabei ist aber immer wichtig, dass man seine Gefühle – z.B. von Verletztheit und Kummer (siehe auch Kummer bei Männern – Ursachen, Formen, Bewältigung (Männerrat #10)) - nur mit ausgewählten, besonders verlässlichen Menschen teilt. Wenn diese nicht vorhanden sind, hilft eine Krisenintervention wie die Telefonseelsorge (0800-111 0 111 oder 0800- 111 0 222) oder ein erfahrener Psychotherapeut.

Männer und Gefühle – eine schwierige Beziehung!?

Schon als Kinder lernen Jungen, anders mit ihren Gefühlen umzugehen als Mädchen. Auch wenn heutzutage ein offenerer Umgang von Jungen mit ihren Gefühlen möglich ist, zeigt die Realität der modernen Welt, dass diese Entwicklung Grenzen hat. Jungen werden – das zeigt auch neueste psychologische Forschung – immer noch seltener und weniger getröstet, wenn sie Schmerzen oder Kummer haben. Männer werden immer noch häufiger in Kriegssituationen geopfert. Männer üben gefährlichere Berufe aus und erleiden häufiger in der Arbeitswelt Unfälle. Und auch als Väter erleiden Männer, die sich nach Trennung und Scheidung engagiert um ihre Kinder kümmern wollen, Kontaktabbrüche und dauerhafte Entfremdung von ihren Kindern, einfach nur wenn die Ex-Partnerin es so möchte.
Ihre Gefühle werden häufiger nicht ernst genommen oder gar verspottet. Männer haben gute Gründe, ihre Gefühle zu schützen. Sie tun dies nicht so sehr, um stark zu sein, sondern um Verletzungen und Zurückweisungen verarbeiten zu können. Ein einfach nur „Zeig Deine Gefühle!“ ist oft nicht möglich und auch nicht die zu bevorzugende Lösung. Häufig ist emotionale Zurückhaltung bei Männern auch in Beziehung zu Frauen angebracht, weil sie Zurückweisung befürchten oder ganz in eine Beschützer- und Versorgerrolle gedrängt werden. Die Veränderung der Geschlechtsrollen schreitet insgesamt langsamer voran, als dies in der Öffentlichkeit behauptet wird. Männer können jedoch auch selbst daran mitwirken, dass sich ihnen emotionale Räume öffnen, ohne dass sie dafür abgewertet oder gar verspottet werden. Dazu am Ende einige Tipps aus emotionspsychologischer und psychotherapeutischer Sicht.

Umgang mit Emotionen – da geht was!

In den Lebenserfahrungen von Männern taucht sehr häufig die internalisierte Botschaft „Zeige keine Gefühle!“ auf. Dies bezieht sich besonders auf negative Gefühle, wie Traurigkeit, Kummer, Sorgen, Angst und Niedergeschlagenheit. Es kann auch sein, dass schon die Wahrnehmung der eigenen Gefühle und Bedürfnisse unterdrückt wurde. Vielen ist es gar nicht bewusst, dass sie diesen Leitsatz verinnerlicht haben. Weitere verwandte Leitsätze sind „Fühle nichts!“, „Zeige Dich stark!“ oder „Habe keine Angst!“. Solche Anforderungen entsprechen der klassischen Männerrolle, nach der Männer hart und rücksichtslos zu sich selbst – und späterhin – auch zu anderen sein sollen. Männer sollten klug und differenziert mit ihren Gefühlen umgehen. Männer können und sollten ihre Gefühlswahrnehmung trainieren und verfeinern. Es ist wichtig, achtsam und klug mit den eigenen Emotionen umzugehen. Dies bedeutet, sie einerseits genau wahrzunehmen, andererseits eine gute Emotionsregulation zu entwickeln (vgl. in Bezug auf Impulsivität „Ich werde immer so schnell wütend“ – Impulsivität und wie damit umgehen (Männerrat #11)). Manchmal Gefühle direkt zeigen oder darüber sprechen, aber immer den Verstand zu benutzen, um die richtige Form, die passenden Worte und den adäquaten Zeitpunkt zu finden.

Männer haben gute Gründe, ihre Gefühle zu schützen. Sie tun dies nicht so sehr, um stark zu sein, sondern um Verletzungen und Zurückweisungen verarbeiten zu können. Wie ein besserer Umgang mit Gefühlen für Männer gelingen kann, wird im Folgenden in fünf Hinweisen aufgezeigt.

Tipps zum Umgang mit den eigenen Emotionen

Tipp 1:

Sei neugierig auf Deine Gefühlswelt als Mann! Je genauer Du Deine Emotionen kennst, desto besser verstehst Du Dich selbst. Da bei vielen von uns Gefühle in der Kindheit unterdrückt wurden, ist es von großer Wichtigkeit, diese (wieder) zu entdecken. Dies ist wie ein Herantasten an unbekannte Landschaften. Ein Gefühlstagebuch, eine Selbsterfahrungsgruppe für Männer oder eine Psychotherapie können entscheidend helfen und Dich voranbringen.

Tipp 2:

Erst Gefühlwahrnehmung, dann Gefühlsausdruck! Um mit seinen Gefühlen adäquat und förderlich umzugehen, ist zunächst die Gefühlswahrnehmung wichtig. Werde Dir klar darüber, was Du gerade empfindest und wie es du diesem Gefühl kommt! Sei neugierig auf Dein Inneres! Du bist wie jeder Mensch eine Person, die Emotionen erlebt und diese bei Dir selbst verstehen und interpretieren kann.

Tipp 3: 

Du musst nicht immer direkt Deine Gefühle rauslassen! Viele Gefühle stehen im Konflikt mit sozialen Regeln und Alltagsanforderungen. Wenn Dich Dein Chef etwa immer wieder negative kritisiert, kann dies Ärger und Wut erzeugen. Wenn Deine Partnerin oft über Verhaltensweisen von Dir nörgelt, kann dies auch Ärger erzeugen. Nicht immer ist es klug, diesen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Meistens sogar ist es besser, die eigenen Gefühle erst einmal genau wahrzunehmen und eine Reaktion vorzubereiten. Dies ist die Phase der genauen und achtsamen Gefühlswahrnehmung. Sie ist sehr wichtig, um Situationen besser zu verstehen und anschließend bewerten zu können.

Tipp 4:

Gefühlsausdruck ist wichtig! Aber dennoch ist es wichtig, die eigenen Gefühle ausdrücken zu können. Dies kann verbal und nonverbal erfolgen. Beide Ausdruckskanäle sollten zueinander passen. Wenn Du von Traurigkeit sprichst, passt lächeln nicht dazu. Du musst nicht immer Gefühle direkt und ungefiltert ausdrücken. In vielen Situationen (in der Arbeitswelt, bei Partnerkonflikten, in der Erziehung) ist es wichtig, sich erst einmal über seine Gefühle klar zu werden und dann zu entscheiden, wie man sich und was man ausdrücken möchte. Oft ist es gar nicht verkehrt, erst einmal eine Nacht darüber zu schlafen und sich dann zu artikulieren. Wichtige Gefühle und deren Äußerung – etwa nach Konflikten und bei Entscheidungsunsicherheit – sollte man aber nicht auf die lange Bank schieben oder ganz vermeiden.

Tipp 5:

Gefühle regulieren! Es ist meist klüger, seine Gefühle zu regulieren statt überschießende unkontrollierte Gefühle rauszulassen. Wenn Du z.B. Probleme mit Impulsivität hast, also zu schnell zu sehr Gefühle wie Wut und Ärger äußerst, führt dies immer wieder zu Problemen mit den Mitmenschen, besonders den Nahestehenden. Wenn Du aber zu ängstlich und zögerlich bist, Deine Gefühle zu äußern, solltest Du daran arbeiten, mehr von Deinen Empfindungen zu zeigen. 


Tags

Emotionen, Emotionsregulation, Gefühle, Geschlechterrolle, Geschlechtsrolle, Jungen, Kindheit, Männer


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